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Planet America: Ein Ami erklärt sein Land (German Edition)

Planet America: Ein Ami erklärt sein Land (German Edition)

Titel: Planet America: Ein Ami erklärt sein Land (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eric T. Hansen
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Leben zu führen. Seitdem hat Amerika immer zwischen den beiden Polen hin- und hergeschwankt: zwischen Kirche und Spielhölle, zwischen Jazz und Prohibition … Und heute eben zwischen »progressiver Politik« und »Familienwerten«.
    »Familienwerte«: Das heißt übersetzt, keine Homo-Ehe, keine Abtreibung und kein vorehelicher Sex. Dafür aber Eigenständigkeit en masse: Ein Pionier braucht schließlich keine Krankenversicherung, ihm reichen eine Bibel und ein funktionierendes Gewehr. Deshalb so viele merkwürdige Themen in der Politik, die dort eigentlich nichts zu suchen haben: Die vielen von Herzen kommenden Bekenntnisse zu Gott, das völlig irrelevante Festhalten daran, dass die Schöpfungsgeschichte Wort für Wort wahr sei.
    Deswegen die Wiederkehr von zwei Phänomenen, die den Europäern am meisten Kopfzerbrechen bereiten: der Todesstrafe und der Waffenkultur.
    Im Wahlkampf 2012 richtete ein Journalist in einer Live-Veranstaltung an den republikanischen Kandidaten Rick Perry, Gouverneur von Texas, die Frage, warum es dort noch die Todesstrafe gebe. Perrys Antwort: »Weil wir wissen, was ultimative Gerechtigkeit ist.«
    Der Saal tobte. Es wurde geklatscht, gejubelt, Perry wurde von einer Welle der Sympathie und des Zuspruchs überrollt. Wäre ein Europäer mit im Saal gewesen, er hätte sich gefühlt wie auf dem Mond.
    Nur in Amerika gilt es als patriotisch, andere Menschen legal mit staatlicher Genehmigung umzubringen.
    Das heißt – nicht überall natürlich. Jeder dritte Amerikaner ist gegen die Todesstrafe. Ihre Gegner halten regelmäßig Mahnwachen vor den Toren von Gefängnissen ab, wenn eine Exekution stattfinden soll. Sie argumentieren, dass die Todesstrafe zu teuer und im Fall eines Fehlurteils nicht mehr rückgängig zu machen sei und außerdem die Verbrechensrate nicht senke.
    Das sind die rationalen Argumente. Hier die emotionalen: Vielen meiner Landsleute stinkt es, dass irgendwelche Bauerntölpel in den Südstaaten sich einbilden, mit dem Leben anderer Menschen Gott spielen zu dürfen und dabei johlen und grunzen und weggucken, wenn rauskommt, dass auch Minderjährige und geistig Behinderte unter den Verurteilten sind bzw. dass umgekehrt niemals Reiche darunter sind und deutlich mehr Schwarze und Latinos als Weiße, oder wenn sich herausstellt, dass nach manchen Schätzungen einer von zehn Todeskandidaten unschuldig ist.
    Die emotionalen Argumente der Befürworter lauten: Killer verdienen das Leben nicht. Außerdem könnt ihr uns alle mal!
    Das Festhalten an der Todesstrafe ist eindeutig eine populistische Haltung – vielleicht sogar eine Trotzreaktion.
    Für viele Menschen, vor allem aus dem Süden und dem Westen, ist es auch eine Möglichkeit, an einem Image aus der Vergangenheit festzuhalten.
    Im Wilden Westen war alles härter und grausamer, aber auch eindeutiger: Richtig war richtig, und falsch war falsch, und wer jemanden ermordete, bekam die Strafe, die er verdiente, jawohl. Wenn wir Amerikaner in europäischen Augen manchmal primitiv erscheinen, dann deswegen, weil wir gern wieder primitiv wären. Amerika wollte nie eine bürgerliche Gesellschaft sein, die Angst davor hat, sich die Finger schmutzig zu machen. Unser Anfang war zäh, brutal und einfach gestrickt. Wir wissen, dass diese Zeiten vorbei sind – aber wir wollen sie wiederhaben. Also halten wir fest an solchen Symbolen wie der Todesstrafe und johlen und klatschen, wenn ein Populist sagt: »Der Amerikaner weiß noch, was richtig und falsch ist.«
    Kein Streitthema zeigt die gravierenden Mentalitätsunterschiede zwischen Nordosten, Süden und Westen besser auf als die Todesstrafe.
    Von den 33 Bundesstaaten, die sie heute noch zulassen, gehören kaum welche zum gutbürgerlichen Nordosten. Seit 1976 wurden im ganzen Land insgesamt 1.277 verurteilte Mörder hingerichtet, davon mehr als ein Drittel in Texas. Die zweitgrößte Zahl weist Virginia mit 109 Hinrichtungen auf.
    Die Todesstrafe ist nicht erst seit gestern ein Streitthema. Schon bei der Gründung der USA sprachen sich einige Gründerväter gegen sie aus, und das Unbehagen daran blieb. 1794 verbot Pennsylvania die Todesstrafe für alle Verbrechen außer Mord; 1846 verbot der von deutschen Einwanderern bevölkerte Bundesstaat Michigan die Todesstrafe für alle Vergehen außer Hochverrat; bald darauf verboten Rhode Island und Wisconsin die Todesstrafe ohne Ausnahme. Erst danach wurde die Abschaffung der Todesstrafe international salonfähig – zum Beispiel in manchen

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