Planet America: Ein Ami erklärt sein Land (German Edition)
Glück lebte er am Rande des Waldes. Wurde das Essen rar, nahmen er und sein Vater die Waffen zur Hand – er eine Schrotflinte und sein Vater das Gewehr aus dem Ersten Weltkrieg –, sie gingen in den Wald und kamen mit Hasen, Eichhörnchen und Vögeln wieder zurück. So haben sie überlebt. So haben viele Amerikaner überlebt.
Als er dann in der Armee war und in Übersee diente, machte er mit anderen Gewehren und auch mit einer 45er semi-automatischen Pistole Bekanntschaft. Bei seiner Entlassung musste er, wie alle Soldaten, seine Gewehre abgeben. Dafür kaufte er sich von einem anderen Soldaten eine 45er Pistole der Art, die er im Dienst an der Hüfte trug.
Waffen waren Teil seines Lebens. Sie waren auch Teil unserer Erziehung.
Es war ihm wichtig, dass wir Jungs wussten, mit Gewehren umzugehen. Wie man sie trug, hielt, wie man sie sauber machte. Dass man sie niemals auf einen anderen Menschen richtet, sie immer mit dem Lauf nach unten hält, sie immer sichert. Er brachte uns den Unterschied zwischen Spielzeug und Gewehr bei, lehrte uns, dass man mit manchen Dingen niemals spaßt. Man bewahrt sie sicher auf und außer Reichweite von Kindern; die Munition gehörte an einen anderen, gut verschlossenen Ort.
Es war seine Art, uns etwas über den Ernst des Lebens beizubringen. Es war auch unsere erste Begegnung mit dem Tod und mit der Macht des Menschen darüber. Den mächtigen Rückstoß seines schweren .30-06 Springfield-Gewehrs auf dem Schießstand an der Schulter zu spüren, war ein existentielles Erlebnis.
»Wow«, sagte ich, »das ist überhaupt nicht so wie im Kino.«
»Nein, Sohn, es ist nicht wie im Kino«, sagte er.
Es wäre schwer, weniger gewalttätig und weniger kriminell zu sein als mein Vater oder mehr Respekt vor dem Leben zu haben als er. Trotzdem liebte er diese Waffen.
Als er starb, wurden sie unter seinen drei Jungs aufgeteilt. Ich bekam die alte Schrotflinte. Ich kann sie nicht benutzen. Aber das macht mich trotzdem zum Waffenbesitzer. Es mag sich merkwürdig anhören, aber der Gedanke an seine Flinte erfüllt mich tief innendrin mit so was wie Stolz – und Erleichterung. Wer weiß, wann wieder eine große Depression kommt?
21
Alles, was wir haben, ist geklaut
F ühlen wir Amerikaner uns schuldig wegen unserer Verbrechen an den Indianern?
Oh ja.
Genauso wie wegen unserer Verbrechen an den Schwarzen?
Nicht ganz.
Es gibt zwei amerikanische Ursünden: Den Krieg gegen die Indianer und die Sklaverei. Doch wir empfinden sie als zwei sehr verschiedene Sünden. Die Scham ist zwar die gleiche – aber nicht die Art, wie wir damit umgehen.
Dabei fühlen wir uns schuldig. Schuld ist das herausragende Merkmal unserer Beziehung zu Indianern.
Man kann die Reaktion der Amerikaner auf die Indianer heute in zwei Arten unterteilen: Die einen nehmen die Schuld mit mehr als einer Prise politischer Korrektheit an, die anderen weisen sie mit mehr als einer Prise Trotz von sich. »Ich kann nichts dafür, was meine Vorfahren getan haben«, argumentieren sie. Oder gar: »Es waren nicht mal meine Vorfahren: Meine Großeltern sind erst im 20. Jahrhundert eingewandert.«
Beide Reaktionen, auch die trotzige, gründen natürlich in der Schuld: Wir wissen, was passiert ist, und wir schämen uns. Als Kinder bauen wir gerne Tipis, als junge Leute fallen wir ab und zu auf irgendwelche Pseudo-Indianermystik rein, aber das, was bleibt, wenn wir erwachsen werden, ist das schlechte Gewissen.
In der Schule hören wir von der Beinahe-Ausrottung der Indianer durch Krankheiten, von den vielen gebrochenen Verträgen, von der Vertreibung nach Westen und von dem miserablen Leben in den Reservaten. Kein Artikel in den Zeitungen, kein Hollywood-Film, kein Roman über Indianer erscheint, ohne dass auf ihr Leid eingegangen wird.
Aus schlechtem Gewissen wird inzwischen nicht mehr von »Indianern«, sondern politisch korrekt von »Native Americans« – »eingeborenen Amerikanern« – gesprochen, obwohl das Land, in dem die Indianer ursprünglich »natives« waren, so wenig »Amerika« wie Indien hieß (die Indianer selbst neigen übrigens dazu, sich weiterhin als »Indianer« zu bezeichnen, dem werde ich mich in diesem Kapitel anschließen).
Angesichts der Schuld kann man heute weder ohne bitteren Beigeschmack den »Columbus Day« feiern – den Tag, an dem besagter Herr Amerika entdeckte – noch den heiligsten amerikanische Feiertag, Thanksgiving, da mit diesem Fest der Freundschaft auch das Leid der Indianer begann.
Kurz:
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