Planet America: Ein Ami erklärt sein Land (German Edition)
dem Willen Gottes bzw. der Bibel nicht in Einklang sind. Sarah Palin, die christlich-konservative Präsidentschaftskandidatin, und viele Anhänger der Tea Party wissen vermutlich nicht mal, wer die Quäker waren, stehen aber dennoch tief in ihrer Schuld.
Aber nicht nur die Quäker haben die amerikanische Politik bewegt. Die vermutlich einflussreichste Glaubensrichtung waren und sind die Baptisten. Wie sie im Süden an die Macht kamen, ist eine sehr amerikanische Geschichte: Sie begannen als Underdogs und Außenseiter. Das ist in den USA schon mal ein guter Anfang.
Als der Engländer John Smyth im frühen 17. Jahrhundert zu der Überzeugung kam, dass man erst als Erwachsener getauft werden solle, weil Säuglinge solch weitreichende Entscheidungen noch nicht treffen könnten, wurde er sofort zum Feind der etablierten »Church of England« erklärt. Das machte seine Gruppe damals automatisch zu einer politischen Bewegung. Als seine Anhänger daraufhin in die USA und nach Kanada immigrierten, hatten sie dort jedoch ebenso wenig zu lachen, in den meisten Kolonien war nämlich genau wie im Mutterland die »Church of England« Staatskirche.
Nach dem Unabhängigkeitskrieg aber witterten die Baptisten ihre Chance. Weil die anglikanische Kirche (die sich in Amerika fortan »Episcopalians« nannte) die Religion der Elite war, konzentrieren sich die Baptistenprediger auf die weiße und schwarze Unterklasse, die oft völlig ohne Kirche dastand. Die »Episcopalians« dachten sich nichts dabei. Sie begriffen nicht, dass inzwischen Demokratie herrschte und es mit ihrer unangefochtenen Staatskirchenherrlichkeit vorbei war: Die Mehrheit der Gläubigen ging ab sofort einfach dahin, wo sie sich am besten aufgehoben fühlte.
Die Baptisten begriffen dies hingegen schnell, und im Handumdrehen waren sie die Religion des Volkes. Heute gehören rund 16 Prozent der Amerikaner einer Baptistenkirche an. Das macht sie zur größten Gruppe der Protestanten in Amerika.
Unter ihnen sind die »Southern Baptists« die bei weitem stärkste Fraktion. Heute geben sie es ungern zu, aber sie sind deswegen so stark geworden, weil sie die Sklaverei mochten. Im Bürgerkrieg hielten sie konsequent zu den Südstaaten, und ihre Haltung war selbst innerhalb der Baptisten so umstritten, dass sie sich schließlich von der Mutterkirche abspalten mussten. Erst nach dem Bürgerkrieg entschuldigte sich die »Southern Baptist Convention« für die Rolle, die sie bei der Sklaverei gespielt hatte, und erklärte offiziell ihre Ablehnung von Rassismus in jeder Form.
Falls es Sie interessiert, wann genau dies passierte: nun, schon etwa 130 Jahre nach dem Bürgerkrieg!
Vor diesem Hintergrund ist es nicht verwunderlich, dass die »Southern Baptists« selbst in den USA einen schlechten Ruf haben: Im Norden gelten sie als verrückte Fanatiker, die aber leider großen Einfluss auf eine Menge Wähler im Süden haben.
Ihre Methoden und ihr politisches Engagement sind heute noch so extrem und kämpferisch wie damals: Linke Politiker werden regelmäßig als gottlos beschimpft und ihre Politik als anti-christlich und anti-amerikanisch zugleich – was für sie dasselbe ist. Die christlichen Fernsehshows in Amerika leben zu einem erheblichen Teil von einem Baptisten-Publikum. Ein Teil des Kalküls hinter dem radikal-konservativen Nachrichtensender Fox News liegt darin, dass man genau dieses Publikum erreichen will.
Ich erinnere mich an die Welle der Empörung, die durch Deutschland rollte, als vor ein paar Jahren einige konservativ-christliche Gruppen in den USA während der Amtszeit eines wohlwollenden George W. Bush versucht haben, die Schöpfungsgeschichte als Bestandteil des Unterrichts in die Schulen zu bringen. Ihr Trick: Sie benannten sie kurzerhand um in »Intelligent Design« und behaupteten, es sei doch eine seriöse wissenschaftliche Frage herauszufinden, ob hinter der Schöpfung des Universums eine höhere Intelligenz stecke. Dieser Ansatz sei der Evolutionstheorie gleichwertig, die ja in der Schule gelehrt werde. Also müssten auch ihre Thesen im Unterricht behandelt werden.
Meine deutschen Freunde fragten mich besorgt, ob die Amis nun endgültig zu durchgeknallten religiösen Fanatikern mutiert seien, wenn sie anfingen, allen Ernstes solchen Unsinn in der Schule zu lehren. Es war schon eine merkwürdige Frage aus dem Munde eines Deutschen – erst meine zaghafte Nachfrage erinnerte sie daran, dass genau dies hierzulande längst gang und gäbe ist. Irgendwie
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