Planet America: Ein Ami erklärt sein Land (German Edition)
hatten sie völlig vergessen, dass deutschen Kindern schon seit eh und je die Schöpfungsgeschichte in der Schule beigebracht wird, und zwar im Religionsunterricht.
Der neue Ansatz der amerikanischen Kirchen, eine alternative Theorie zur Entstehung des Lebens anzubieten, war gar nicht so aussichtslos, wie es sich anhört: Es gibt ja keinen Grund, warum die Wissenschaft sich nicht mit der Frage beschäftigen sollte, ob eine höhere Intelligenz die Evolution in Schwung gebracht hat. Die Wissenschaft ist doch dazu da, scheinbar unlösbaren Fragen auf den Grund zu gehen, oder nicht?
Der Fall ging bis vor den Obersten Gerichtshof, der schon mehrfach zugunsten der Kirchen entschieden hatte. Dort erlitten die Fundamentalisten diesmal aber eine herbe Niederlage: Die Idee, dass ein Gott hinter der Entstehung des Universums stecke, sei keine Theorie, wurde ihnen beschieden, weil ihr überzeugende Beweise fehlten. Sie sei erst mal bloß eine Hypothese und könne daher nicht als Bestandteil der modernen Wissenschaft angesehen werden.
Ganz Amerika atmete auf: Gott sei Dank, ein Grundpfeiler der Demokratie – die Trennung zwischen Kirche und Staat – wurde noch einmal vor dem Einsturz bewahrt.
Es ist ein merkwürdiger Spagat, auf den sich die USA einlassen: Auf der einen Seite das von allen geschätzte Prinzip »Trennung von Kirche und Staat«, auf der anderen Seite ein höchst religiöses Volk, das von seinen politischen Führern verlangt, ebenso religiös zu sein.
Ist Amerika also nun ein religiöser Staat oder nicht?
Viele konservative Christen behaupten: Aber sicher, Amerika wurde schließlich von Christen gegründet und war von Anfang an ein christlicher Staat.
Da ist auch was dran.
Vor Gericht und bei der Amtseinführung von Politikern schwört man noch auf die Bibel; Kirchen sind von Steuern befreit und erhalten dadurch Vorteile vom Staat eingeräumt, von denen andere Organisationen nur träumen können; auf unseren Dollarscheinen stehen die Worte »In God We Trust« – »Auf Gott vertrauen wir«. Selbst die Unabhängigkeitserklärung bezieht sich auf Gott.
Unsere Geschichte ist eine lange Reihe von Glaubensbewegungen. Die so genannten »Awakenings« oder »Revivals« – »Erweckungen« – schwappen regelmäßig in großen Wellen über das ganze Land und verschwinden dann wieder. Schon in den Kolonien des 17. Jahrhunderts wurden sie nicht von humorlosen Reformern oder verkopften Theologen ausgelöst, sondern von feurigen Entertainern, die ihre Zuhörer kannten und ohne Umschweife direkt an ihr Herz und ihr Gefühl appellierten. Ihre Botschaft war zutiefst intim: Sie aktivierten alle latenten, tief sitzenden Gefühle der Schuld, der Angst und der Sehnsucht nach Sinn und führten die Gläubigen an einem herrlichen, feierlichen, emotionsgeladenen Abend zur spirituellen Erlösung.
Das ist seither die Grundlage für den Erfolg der Religion in Amerika: eine persönliche, emotionale Erfüllung, wie in einer betörenden verbotenen Liebesaffäre. Das charismatische Predigen auf Feldern und in Zelten vor Tausenden von Zuhörern wurde zu einem Massenphänomen. Und wenn es mal verschwand, konnte man darauf wetten, dass es kurz darauf wiederkehrte. Mit jeder neuen Welle sprossen neue Kirchen: die Methodisten, die Kongregationalisten, die Presbyterianer, dann die Mormonen, die Zeugen Jehovas, die Sieben-Tage-Adventisten und viele mehr. Wie Pilze nach dem Regen.
Heute geht es weiter, nicht mehr in Zelten, sondern in Arenen und vor allem im Fernsehen. Nach den sehr materialistischen und säkularisierten 1960ern und 70ern war zu erwarten, dass eine weitere Welle der religiösen Erweckung über uns hinwegrollen würde: Diese begann dann auch in den 1980ern und hat vermutlich ihren Höhepunkt unter George W. Bush erreicht. Seit dem kurzen Aufflackern der Tea Party gibt es jedoch deutliche Zeichen, dass der Einfluss der konservativen Christen in der Politik inzwischen wieder abnimmt.
Amerika hat aber auch eine ganz andere Seite. Hier herrscht die Meinung vor: Das amerikanische Volk mag ja religiös sein, doch der amerikanische Staat ist es keineswegs.
Da ist auch was dran.
Immerhin waren die frömmelnden Puritaner längst Geschichte, als Amerika fast 200 Jahre später gegründet wurde. Die Gründerväter selbst waren keine richtigen Christen, sondern quasi Atheisten, und hätten sehr wohl eine strenge Trennung zwischen Kirche und Staat angeordnet. Und diese Sache mit »In God We Trust« auf den Dollarscheinen: Das wurde erst
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