Planet America: Ein Ami erklärt sein Land (German Edition)
beschrieb 1967 die amerikanische Demokratie als eine »Zivilreligion« und argumentierte, dass die Amerikaner ihre tief verwurzelte Religiosität einfach auf ihr Land übertragen und dadurch einen Glauben der amerikanischen Nation erschaffen haben.
Das hat Folgen, von denen der Rest der Welt nichts ahnt: Wir sind dadurch viel inniger und emotionaler mit dem System »Demokratie« verbunden, als die meisten Nicht-Amerikaner angesichts ihrer nüchternen Staatsgebilde sich das vorstellen können. Wir identifizieren uns tatsächlich mit so einer trockenen Materie wie unserer Staatsform. Wie sich das für eine anständige Religion gehört, sehen wir Demokratie sogar in einem endzeitlichen Kontext: Wir glauben, dass irgendwann die ganze Welt demokratisch werden wird und erst dann die ganze Menschheit glücklich und harmonisch zusammenleben kann. Da wir die Ersten waren, die nach den alten Griechen wieder damit angefangen haben, sehen wir es demzufolge als unsere heilige Pflicht, die Demokratie weiter zu verbreiten. Lachen Sie nicht, es stimmt.
Na ja, nicht immer. Manchmal wollen wir der Welt die Demokratie bringen, manchmal kann die Welt uns am Arsch lecken. Aber im Wesentlichen stimmt es: Wir glauben an unsere Nation.
Und genau wie bei jedem richtigen Glauben gibt es einen unlösbaren theologischen Streit, der so alt ist wie Amerika selbst: Sollen wir die restliche Welt nun vor sich selbst retten oder lieber zum Teufel fahren lassen?
Ich als Amerikaner muss hier mal ein Geständnis machen: Es ist schon merkwürdig, aus einem Land zu stammen, das von religiösen Fanatikern gegründet wurde. Wir ganz normalen Amis versuchen, diese Tatsache kleinzureden. Wir sprechen von »den« Puritanern und stellen sie als kleine Gruppe dar, die heute völlig vergessen ist. Dass wir zu einem erheblichen Teil auch heute noch so denken, wie sie gedacht haben, ziehen wir gar nicht mehr in Betracht, aber es stimmt.
Dieser tiefe Glaube, dass Amerika in einer vom rechten Weg abgekommenen Welt eine besondere Verantwortung trägt, wurde schon 1630, bevor es die USA überhaupt gab, auf einem Schiff mitten auf dem Atlantik geboren. Glaubensstifter war ein Mann, der heute so gut wie vergessen ist: John Winthrop, ein Puritaner. Der deutschstämmige Satiriker H.L. Mencken beschrieb den Puritanismus einmal treffend als »das beunruhigende Gefühl, dass irgendwo irgendwer möglicherweise gerade Spaß haben könnte«. Doch Amerika schuldet den Puritanern viel mehr als nur ihre berühmte Prüderie.
Ein Puritaner war kein verinnerlichter Grübler, der aufgrund irgendwelcher eingebildeten Sünden demütig nach persönlicher Erlösung strebte, sondern jemand, der tatkräftig das Reich Gottes auf Erden aufbauen wollte und bereit war, sich den Weg freizuschießen, sollte er auf Widerstand stoßen.
Als ihre Pläne in England immer wieder misslangen, blieb vielen von ihnen nur noch die Auswanderung. 1630 war ein Jahr, in dem die Welt kopfstand. In Deutschland wütete der Dreißigjährige Krieg, und in Frankreich stand König Ludwig XIII. völlig unter dem Einfluss von Kardinal Richelieu. Es war das Jahr, in dem rund 100 Puritaner in die »Arabella« stiegen und sich auf den Weg in die kürzlich gegründete »Massachusetts Bay Colony« machten.
Auf der Überfahrt wandte sich ihr Anführer, der Anwalt und Prediger John Winthrop, an seine Mitstreiter. Seine Rede wurde aufgeschrieben. Darin erinnerte er seine puritanischen Brüder, worum es ihnen mit diesem heiligen Vorhaben ging: nicht darum, Geld zu verdienen, nicht darum, in Freiheit zu leben, sondern darum, eine neue Welt aufzubauen. Eine Welt, die Gott gefällt, angefangen bei einer Stadt, die nach göttlichen Prinzipien funktioniert, welche der Teufel aus Europa natürlich längst getilgt hatte. Es ging um nichts weniger als den perfekten Gottesstaat. Rechtschaffen, tadellos, gottesfürchtig und von Gott gesegnet.
Und sie wollten es nicht nur für sich erreichen – nein, sie wollten der ganzen Welt zeigen, dass es möglich war; sie wollten der gesamten Christenheit ein leuchtendes Beispiel sein. Damit die Welt es ihnen irgendwann nachmachen konnte. Und wenn nicht, auch gut, dann würden sie mit ihrem Tun bei Gott immerhin ein gutes Wörtchen für den Rest der Welt einlegen.
Diese utopische, leicht größenwahnsinnige Rede ist heute vergessen, nur ein einziger Satz daraus taucht immer wieder auf – er ist noch heute ein Teil von uns. Winthrop nahm ihn aus der Bergpredigt: »Ihr seid das Licht der
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