Planet America: Ein Ami erklärt sein Land (German Edition)
Welt. Es kann die Stadt, die auf einem Berge liegt, nicht verborgen bleiben.«
Immer wieder greifen unsere Präsidenten darauf zurück: Kennedy und Reagan beschworen das Bild: Wir Amerikaner sollen ein leuchtendes Beispiel sein, eine Stadt auf dem Hügel, weithin sichtbar. Auch wenn man es nicht immer wieder hervorkramen würde, das »City on the Hill«-Sinnbild steckt uns im Hinterkopf, wie ein Stein im Schuh, wie ein alter Traum, wie ein Versprechen. Das ist das Sendungsbewusstsein, mit dem jeder Amerikaner geboren wird und das er selbst kaum wahrnimmt (der Rest der Welt aber schon).
Dies ist der Grund, warum jeder amerikanische Präsident automatisch, ohne dass jemand ihn darum bittet, das Gefühl hat, er müsse nicht nur mit unseren Problemen zurechtkommen, sondern auch mit denen der restlichen Welt. Auch wenn er sich gerade mal in Missouri auskennt. Geht es um Aufstände in der arabischen Welt, um Bürgerkrieg in Afrika, um Diktatoren mit Atomwaffen in Asien oder darum, Europa vom Faschismus zu befreien, der Amerikaner denkt: Wenn wir es nicht tun, wird es niemand machen.
Ich kenne kein anderes Land, das automatisch so eine internationale Verantwortung verspürt. Seit 1945 sind in Deutschland die Zeiten des »Am deutschen Wesen soll die Welt genesen« zumindest für die nächsten paar Generationen vorbei. Kein Bundeskanzler setzt sich zum Ziel, Frieden in den Nahen Osten zu bringen. Frieden in Brüssel ist schon genug. Bei uns ist das anders. »The City on the Hill« ist unser Fluch und unser Segen. Wenn wir international nichts tun, gibt es einen Aufschrei: Warum tut der Ami nichts? Wenn wir etwas tun, gibt es einen Aufschrei: Muss der Ami sich wieder als Weltpolizei aufspielen? Dieses Problem haben nur die USA , und wir haben es uns selbst aufgebürdet.
»The City on the Hill« hat seit damals immer wieder neue Gestalt angenommen. Die Puritaner selbst sahen sich als die neuen Israeliten. Genau wie Gott diese unter Moses aus der ägyptischen Gefangenschaft in das verheißene Land führte, so wurden die Puritaner aus der Alten Welt in die Neue Welt gebracht.
Das große Siegel der Vereinigten Staaten, das auch die Dollarscheine ziert, zeigt eine Pyramide, in deren Spitze ein leuchtendes Auge schwebt: Das Auge Gottes, der über uns wacht. Manche sagen, die Pyramide sei unfertig (die Spitze fehlt) und das Auge darüber schaue herab mit der Aufforderung im Blick, das neue Zeitalter, das große Werk der Demokratie nämlich, zu vollenden. Dieses Bild war damals nicht der einzige Vorschlag gewesen. Als man sich über das Staatssiegel Gedanken machte, schlug Benjamin Franklin ein Bild von Moses vor, wie er für das auserwählte Volk das Rote Meer teilt, das gleichzeitig den Pharao verschluckt, versehen mit dem Spruch: »Rebellion gegen Tyrannen ist Gehorsam gegen Gott.« Thomas Jefferson dachte da etwas »grafischer«: Er wollte nur ein Bild von den Kindern Israels in der Wildnis, die tagsüber einer Wolke folgen, nachts einer Säule aus Feuer. Wie man sieht, war Amerika von Anfang an nicht nur irgendein Kontinent, der zufällig genau dann auftauchte, als man ihn brauchte, sondern ein von Gott gesegneter mythischer Ort.
Allerdings nahmen die Puritaner an, das Land nur behalten zu dürfen, wenn sie gegen ihren »covenant«, ihren Bund mit Gott, nicht verstießen. Auch heute geistert uns die Idee eines »covenants« irgendwo im Hinterkopf herum: Wenn wir so leben, wie Gott es von uns erwartet, wird er uns segnen. Wenn nicht, dann nicht.
Eigentlich logisch.
Politiker der konservativen Christen im Süden und Westen der USA würden es nie öffentlich zugeben, aber genau darum geht es in den so genannten »culture wars«: Die Homo-Ehe, Abtreibung, Promiskuität … all diese Dinge, die in den letzten Jahren auf scheinbar irrationale Weise in der Politik so wichtig geworden sind, brechen den »covenant«. Das macht einigen Menschen Angst: Gott könnte Amerika daraufhin fallen lassen, wer weiß, vielleicht hat er es schon getan?
Wenn der verrückte Prediger Fred Phelps mit seinen Anhängern auftaucht und Schilder schwenkt, auf denen steht: »God Hates Fags« – »Gott hasst Schwule« –, tut er das höchstwahrscheinlich, weil er Angst hat, dass Gott uns verlässt. Als TV -Prediger wie Pat Robertson und Jerry Falwell die Angriffe vom 11. September diskutierten und zu dem Schluss kamen, dass die Gründe für solche Attacken bei den Verfehlungen der Bürgerrechtler, Neo-Heiden, Abtreibungsbefürworter und Feministen zu
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