Planet America: Ein Ami erklärt sein Land (German Edition)
diplomatisch, entwicklungshilfetechnisch oder militärisch, hat, Hand aufs Herz, die Ausbreitung der Demokratie auf der ganzen Welt zum übergeordneten, langfristigen Ziel. Wir haben irgendwie den Eindruck, mit dieser Aufgabe betraut worden zu sein. Sie wurde auch immer wieder neu formuliert. Herman Melville beispielsweise, Autor von Moby Dick , beschrieb Amerika 1850 in seinem Roman White Jacket als »… das Israel unserer Zeit. Gott und die Menschheit erwarten große Dinge von uns.«
Wenn ich heute, nach dem katastrophalen Irak-Krieg, mit meinen deutschen Freunden über »City on the Hill« oder gar von »Verantwortung« spreche, ernte ich Gelächter. Wie soll es auch anders sein?
Doch es erklärt vielleicht ein wenig das Mysterium, warum George W. Bush überhaupt im Irak einmarschiert ist. Die meisten Menschen sind davon überzeugt, es war des Öls wegen, aber die USA beziehen nur 9 Prozent ihres Öls aus dem Nahen Osten (Saudi Arabien und Kuwait) und kein Öl – weder heute noch gestern – aus dem Irak. Das meiste Öl kommt bekanntlich aus Texas – genau wie Bush.
Viele Menschen machen uns Amis den gemeinen Vorwurf, dass wir immer alles nur des Geldes wegen tun, und es gibt einen einfachen Grund dafür: Das meiste, was wir tun, tun wir tatsächlich des Geldes wegen. So ist es verständlich, wenn Amerika-Kritiker nicht in der Lage sind, darüber hinaus weitere Gründe zu sehen. Es gibt sie aber immer, diese anderen Gründe: Kaum ein Volk ist so grundsätzlich idealistisch wie die Amerikaner, für die Demokratie eine Religion ist, und unsere Präsidenten sind sich vom ersten Tag an, wenn sie das Weiße Haus betreten, der historischen Bedeutung ihres Amtes bewusst. Den amerikanischen Idealismus zu unterschätzen bedeutet: Amerika unterschätzen.
Warum Bush unbedingt in den Irak einmarschieren wollte – da gibt es eine Menge Theorien. Eine besagt, er wollte seinen Vater rächen und dessen Schmach vergessen machen. Vielleicht ist was dran. Immerhin musste George W. Bush einst zusehen, wie sein Vater als Präsident von Saddam Hussein an der Nase herumgeführt und das ganze Land dadurch gedemütigt wurde.
Ich halte etwas anderes für wichtiger: Nach dem 11. September wurden die so genannten »Neoconservatives« immer einflussreicher, auch unter den Beratern des Präsidenten, und ihre außenpolitischen Ideen waren stark von der »City on the Hill«-Idee beeinflusst: dass Amerika eine Verantwortung habe, die Welt vor Katastrophen und Schurken, vor Achsen des Bösen und ähnlichem Gezücht zu schützen und die Demokratie zu verbreiten. Und wäre das nicht DIE Gelegenheit, gleich auch den Nahost-Konflikt zu lösen, Herr Präsident?
Ich kann mir gut vorstellen, dass George W. Bush sich fragte, was wohl passieren würde, wenn im Nahen Osten neben Israel ein zweiter demokratischer Staat existierte. Und wenn er den Anstoß dazu gegeben hätte. Würde es die Region stabilisieren? Würde es andere arabische Staaten dazu ermuntern, Demokratie auch mal auszuprobieren?
Das sind Vorstellungen, die für einen neo-puritanischen Präsidenten mit göttlichem Sendungsbewusstsein eine große Versuchung darstellen würden.
Doch dies ist nur die eine Seite der Medaille. Viele Amerikaner fragen sich genau wie der Rest der Welt: Wieso zum Teufel sollen wir eigentlich überall eingreifen?
Schon die Gräueltaten des Krieges auf den Philippinen riefen eine Gegenreaktion vor: Eine Gruppe prominenter Meinungsführer gründete die »American Anti-Imperialist League«, um dem imperialistischen Wahnsinn ein Ende zu bereiten und die Annektion der Philippinen zu verhindern. Zu deren Mitgliedern zählten berühmte Autoren wie Mark Twain und Ambrose Bierce, der ehemalige Präsident Grover Cleveland und der megareiche »Captain of Industry« Andrew Carnegie. Sie argumentierten, dass der Grundsatz der USA , der schon aus der Unabhängigkeitserklärung hervorginge, doch gerade der sei, dass ein Volk nicht ohne seine eigene Zustimmung regiert werden könne. Schockiert und verwundert fragten sie sich, wie die Realität ihres Staates sich so weit von seinem Ideal hatte entfernen können.
Das Gegenteil von Imperialismus heißt bei uns »Isolationismus«. Das bedeutet nicht nur, dass wir uns nicht in die Angelegenheiten anderer einmischen sollten, sondern geht noch einen Schritt weiter und heißt: »Wir Amis brauchen euch alle nicht.«
Stimmt ja auch, eigentlich. Hatten wir nicht genau deswegen die Alte Welt verlassen?
Wenn ich mit meinen
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