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Planet America: Ein Ami erklärt sein Land (German Edition)

Planet America: Ein Ami erklärt sein Land (German Edition)

Titel: Planet America: Ein Ami erklärt sein Land (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eric T. Hansen
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»stopfen«. Es dauerte Stunden, und ich entwickelte ein System, das ich noch heute im Schlaf beherrsche: Einen ganzen Stapel Flyer falten, dann stapeln, dann in die Briefumschläge damit, dann die Adressen drauf. Es war Fließbandarbeit, und meine einzige Motivation war: Wenn ich rechtzeitig fertig werde, kann ich meine Sitcom gucken. Dann aber kam regelmäßig die Ankündigung: Es gibt noch einen Stapel Flyer ohne Adressen, die müssen wir einzeln in die Briefkästen stecken. Mein Bruder fuhr den Wagen, ich lehnte mich aus dem Fenster, er fuhr nah an den Briefkasten heran, der in Amerika an der Straße steht, ich haute einen Flyer in den Briefkasten, er fuhr zum nächsten.
    Bis ich nach Hause kam, war nicht nur meine Sitcom vorbei, sondern die Nachrichten auch, ja, ich hatte Glück, wenn ich noch was vom Abendessen abbekam.
    Das ging jahrelang so. Irgendwann konnte ich aus einem Zimmer nebenan mitten in einem Gewirr aus Gesprächsfetzen den einzelnen Satz heraushören: »Eric kann das machen, er hat nichts zu tun.« Nur, immer wenn ich diesen Satz hörte und flüchten wollte, waren sie schneller und fingen mich ein …
    Doch ich stand mit meiner verrückten Schwester nicht allein. Es ist nicht außergewöhnlich, dass sich eine ganz normale Familie bei Wohltätigkeitsveranstaltungen, in Lobbyorganisationen wie der Tea Party oder auch bei »Occupy Wall Street«, in Kirchen, Schulen oder Clubs politisch oder sozial engagiert. Politik in Amerika funktioniert genau wie Religion oder Wirtschaft, es gilt: do-it-yourself.
    Da ist es kein Wunder, dass man uns manchmal anguckt und ein Monster mit mehr Glück als Verstand sieht.

24
Wir lieben unser Land
    W issen Sie noch, wo sich folgender Krieg abspielte?
    Er fand in einem fernen Land statt, das unter der grausamen Herrschaft einer fremden Macht litt; anfangs kämpften amerikanische Truppen Seite an Seite mit den Rebellen, wurden als Befreier gefeiert, und voreilig gaben sie alsbald das siegreiche Ende des Krieges bekannt. Dann wendete sich das Blatt, sie wurden als feindliche Besatzungsmacht gesehen und mussten danach viele Jahre lang gegen die Rebellen kämpfen, bis das Land endlich wieder einigermaßen zur Ruhe kam. Während des Kampfes wandten die Amerikaner umstrittene und grausame Verhörtechniken an, die teilweise noch aus den Zeiten der Inquisition stammten und die selbst viele Amerikaner angewidert als Folter bezeichneten; je länger sich der Konflikt hinzog, desto mehr Grausamkeiten kamen ans Licht, und der moralische Status der USA in den Augen der Weltöffentlichkeit litt zusehends.
    Richtig geraten! Es war natürlich der philippinisch-amerikanische Krieg von 1899 bis 1902 unter Präsident William McKinley.
    Wie so oft zuvor und danach begann er als Befreiungs-Aktion: Die Philippinen stöhnten unter ihren spanischen Kolonialherren, und wir befanden uns sowieso gerade im Krieg mit Spanien. Also, was sollte der Geiz, kämpften wir eben Seite an Seite mit den philippinischen Rebellen! So gelang es mit vereinten Kräften, die Spanier rauszuschmeißen. Dann wollten wir aber plötzlich nicht mehr weg: Wir hatten es bis dahin schon geschafft, uns das Herzstück des nordamerikanischen Kontinents unter den Nagel zu reißen, und in der amerikanischen Öffentlichkeit glaubte man euphorisch, dass es jetzt immer so weitergehen würde: Wir wollten immer mehr! Also dachten wir daran, auch die Philippinen zu amerikanisieren. Nur mit den philippinischen Rebellen, unseren Verbündeten, war das so nicht abgesprochen, und nun befanden wir uns plötzlich mit ihnen im Krieg. Nach vielen Jahren des zermürbenden Guerillakampfes, in dem die Gräueltaten auf beiden Seiten sich häuften, schafften wir es endlich, die Rebellen zu besiegen und regierten auf den Philippinen bis 1946. Da hatte der Imperialismus endgültig seinen schönen Schein verloren, und wir entließen die Philippinen in die Unabhängigkeit.
    Haben wir etwas daraus gelernt?
    Nein. Wieso auch?
    Wenn man alle militärischen Auseinandersetzungen mit anderen Ländern und Völkern zusammenzählt, in die Amerika verwickelt war, kommt man neben den 12 »richtigen« Kriegen auf mehr als 320 militärische Konflikte in rund 220 Jahren: von den Gefechten mit karibischen Piraten im 18. Jahrhundert über den nie erklärten Seekrieg gegen Frankreich 1798 und pazifistische Militäraktionen wie die Luftbrücke nach Berlin oder auch nicht offiziell genehmigte Aktionen wie den Putsch in Hawaii bis hin zu über 60 einzelnen

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