Planet America: Ein Ami erklärt sein Land (German Edition)
denen sind die Hälfte wiederum sogar fettleibig. Dies verursacht zusätzliche medizinische Kosten in Höhe von 75 Milliarden Dollar im Jahr.
Und warum das alles? Weil Essen, genau wie Fords Model T, billig ist.
Der Henry Ford der Agrarwirtschaft hieß Earl Butz.
Als Agrarminister unter Präsident Nixon in den 1970ern schaute sich Mr. Butz die staatliche Förderpolitik für die Landwirtschaft an und sah, dass die Regierung seit der »Großen Depression« Farmer dafür bezahlte, dass sie weniger produzierten, damit die Getreidepreise auch schön hoch blieben. Für Butz, der selbst die Hungerzeiten der »Großen Depression« durchgemacht hatte, fühlte sich das grundverkehrt an. Wäre es nicht angemessener, die Farmer dafür zu bezahlen, mehr zu produzieren? Man braucht doch Vorräte. Und dieses weite Land war auch in der Lage dazu.
Earl Butz hatte den einen großen Vorteil entdeckt, den wir dem Römischen Reich voraushaben: Unsere Kornkammer liegt nicht jenseits des Meeres in irgendeinem politisch instabilen Reich mit einer exzentrischen Königin, sondern auf unserem eigenen Gebiet. Amerika war wie Rom und Ägypten zusammen.
Gesagt, getan: Je mehr Farmer und Rancher produzierten, desto mehr bekamen sie nun auch vom Staat. Das drückte die Preise so sehr, dass eine Farm sich seither nur noch lohnt, wenn sie riesig ist und sehr viele Subventionen bekommt. Kleine Familienbetriebe rentieren sich hingegen nicht mehr. Die Großbetriebe aber wurden unheimlich effizient und produzieren enorm viel. Vielleicht zu viel. Inzwischen fabrizieren sie sehr viel mehr, als wir essen können. Vor allem die Maisproduktion hat zauberlehrlingsartig überdimensionale Ausmaße angenommen. Fast die Hälfte davon geht in Viehfutter – ein anständiges amerikanisches Steak besteht zu einem guten Teil aus Mais. Über ein Drittel wird zu Bioethanol verarbeitet. Vom Rest wird das meiste exportiert. Das wenigste kommt auf den Esstisch, und nur einen Bruchteil davon erkennen wir noch als Mais. Denn einen Großteil nehmen wir in Form von Sirup zu uns.
Vor wenigen Jahren noch war es so aufwendig, Glukose-Fructose-Sirup (»high fructose corn syrup«) aus Mais zu gewinnen, dass es sich gar nicht lohnte. Inzwischen ist Mais so günstig, dass der Sirup das Süßmittel Nummer eins auf dem US -Markt ist. Er wird bei der Herstellung von Cola, Limonade und fast sämtlicher Fastfood-Produkte von der Salatsoße bis hin zur Tomatensuppe eingesetzt, selbst in vielen salzigen Gerichten ist er drin. Kritiker befürchten, er sei gesundheitsschädlicher als Haushaltszucker, weil er stärker raffiniert ist, und vermuten in ihm einen der Gründe für die Zunahme von Fettleibigkeit und damit auch von Diabetes Typ 2 in der westlichen Welt.
Und warum tut dann keiner was dagegen?
Man hört viel Kritik an der Industrialisierung der Landwirtschaft à la Earl Butz. Wovon man kaum hört, ist der Grund, warum die Politiker noch heute nichts dagegen unternehmen: Dadurch, dass es inzwischen so viel Nahrung gibt, ist unser Essen spottbillig geworden. Ein Amerikaner gibt heute nur noch knapp 7 Prozent seines Einkommens dafür aus. Ein Deutscher muss fast doppelt so viel für Nahrungsmittel hinlegen, ein Franzose investiert noch mehr (allerdings ahnt man, dass diese Typen irgendwelche Geheimnisse über das Essen herausgefunden haben, möglicherweise zum Beispiel, dass Qualität ihren Preis hat). Der Amerikaner hingegen kann das gesparte Geld in andere Dinge investieren, von iPhones bis hin zu einer guten Ausbildung für seine Kinder. Ein Großteil des amerikanischen Wohlstandes, vor allem auch dem der Mittelklasse, hat folglich seinen Ursprung in der Industrialisierung des Essens. Earl Butz selbst hat sein Werk kurz vor seinem Tod 2008 nicht unzufrieden so zusammengefasst: »Wir leben im Zeitalter der Fülle.«
Ob die Mehrheit der Amerikaner wirklich bereit ist, nur um der Gesundheit willen diesen Überfluss aufzugeben, ist eine interessante Frage. Ich persönlich vermute: Nein.
Es sei denn, dass eine gesunde und umweltfreundliche Lebensweise unversehens zum Statussymbol der Mittelklasse wird, so wie heute zum Beispiel ein Flatscreen, der so groß wie die ganze Wohnzimmerwand ist.
Und genau das ist im Gange.
Zu den schicksten und typischsten Statussymbolen der »middle class« gehört die schlanke Linie. Das hört sich vielleicht merkwürdig an – immerhin herrscht in Amerika eine Fettleibigkeitsepidemie –, aber das Problem des Übergewichts scheint sich immer mehr
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