Planet America: Ein Ami erklärt sein Land (German Edition)
gehört Familienfreundlichkeit zur Vermarktungsstrategie vieler Fastfood-Ketten. Jeder Familienvater wollte auf einmal die Kinder ins Auto packen und zum Restaurant fahren; jeder Angestellte wollte auch mit stolzgeschwellter Brust behaupten: »Ich habe morgens einfach keine Zeit, richtig zu frühstücken, ich habe so viel zu tun, also fahre ich durch den Drive-Through bei McDonald’s. Hast du den neuen Drive-Through bei der Bank probiert? Man muss nicht mal das Auto verlassen, ich spare Minuten ein.«
Die Mittelklasse verdankte ihren Boom nicht nur der Tatsache, dass die Einwandererkids aufgestiegen waren – gleichzeitig purzelten auch sämtliche Preise. Und alles wurde mit einem Mal erschwinglicher.
Wer die amerikanische Mittelklasse eigentlich erfunden hat, ist schwer zu sagen, aber ich tippe auf Henry Ford.
Ford hatte einige gute Ideen. Sein neues Fließbandverfahren zum Beispiel ermöglichte es, dass seine Arbeiter weniger qualifiziert sein mussten und schneller arbeiten konnten – und plötzlich wurde das ultimative Luxusprodukt Auto spottbillig.
Man nennt dieses Prinzip »Fordism« – durch Massenproduktion werden teure Produkte für jedermann erschwinglich. Mit anderen Worten: Es kam zu einer »Demokratisierung des Luxus«.
Fords Model T (die Models A bis S waren meist Prototypen) revolutionierte 1908 nicht nur Industrie und Wirtschaft, sondern auch die Gesellschaft. Selbst Menschen, die nur einen Bruchteil des Geldes eines Rockefeller verdienten, konnten sich in einer Hinsicht nun den gleichen Luxus leisten wie er. Ford erklärte es so:
»Ich will ein Auto für die breite Masse bauen. Es wird groß genug für eine Familie sein, aber auch klein genug für einen Single. Es wird aus den besten Materialien gebaut werden, von den besten Arbeitern, die der Markt hergibt, nach dem effektivsten Design, das der moderne Maschinenbau erlaubt. Aber es wird so billig sein, dass es keinen Mann geben wird, der einen anständigen Lohn verdient und nicht in der Lage sein wird, sich eines zu leisten.«
Damit beschrieb er die Geburt der Mittelklasse.
Bis zum Jahr 1916 fiel der Preis der so genannten »Tin Lizzie« immer weiter bis auf nur noch 360 Dollar (7.000 Dollar auf heutige Verhältnisse umgerechnet), und bis 1927 verkaufte er traumhafte 15 Millionen Stück davon. In der Öffentlichkeit spielte Ford gern mit den Vorurteilen gegenüber seiner Fließbandproduktion: »Der Kunde bekommt sein Auto in jeder Farbe, die er sich wünscht«, soll er etwa einmal gesagt haben, »solange die Farbe schwarz ist.«
Heutzutage gibt es wenige ehrgeizige Unternehmer, die Ford nicht nachmachen: Das Alpha und Omega in der Wirtschaft heißt »niedrige Preise«. Luxusgüter werden oft gezielt zur Massenware gemacht. Selbst ganz etablierte Marken zielen auf die Masse: Supermarktketten wie Target oder JC Penny verkaufen verbilligte Modeartikel, und Marketingexperten sprechen schon von »masstrige« – der Verschmelzung von Massenware und Prestige. »Mode ist kein Luxus, es ist ein Recht«, brachte es der Chef der Bekleidungskette Steve & Barry’s kürzlich auf den Punkt.
Im Film Frühstück bei Tiffany knabbert Audrey Hepburn gern an einem Croissant auf dem Bürgersteig vor dem Fenster des exklusiven New Yorker Schmuckladens und stellt sich vor, wie gut die hübschen Ketten doch zu ihrem Kleid passen würden. Heute könnte sie sich wahrscheinlich das eine oder andere dort leisten: Denn die Firma bietet längst parallel zu ihren teuren Artikeln eine Reihe von billigerem Silberschmuck an.
Und heute müsste meine Mutter uns auch keine Leber mehr servieren: Fleisch ist so billig geworden, dass jeder es sich jeden Tag leisten kann. Sogar mehr, als er sollte. Der durchschnittliche amerikanische Mann isst jeden Tag fast 200 Gramm Fleisch. Wir futtern über 226 Millionen Truthähne im Jahr. Dazu verspeist jeder Amerikaner jedes Jahr 22 Kilo Kekse und Kuchen, trinkt 300 Dosen Limonade, kaut 200 Streifen Kaugummi und futtert zwei Kilo Kartoffelchips und ein Kilo Popcorn (das sind übrigens knapp sechs Maxi-Eimer Kino-Popcorn). Ach ja, und als Volk rauchen wir auch acht Millionen Kilo Marihuana im Jahr, aber das ist meines Wissens kalorienfrei.
Insgesamt nehmen wir alle zusammen 815 Milliarden Kalorien am Tag zu uns, rund 200 Milliarden mehr, als wir brauchen. Dazu schmeißen wir noch jeden Tag 200.000 Tonnen brauchbares Essen weg. Leider nicht genug, wie es scheint, denn geschätzte 66 Prozent aller Amerikaner haben Übergewicht, und von
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