Planeten 03 - Venus
»Wenn du zurückkommst, wirst du für den Rest des Lebens von deinem Vater finanziell unabhängig sein. Das ist die Sache doch wert, meinst du nicht auch?«
»Ich könnte dabei umkommen.«
Sie schaute mich mit einem seltsamen Blick an. »Ja, das wäre möglich.«
Wir saßen eine Zeitlang stumm da, während die Schatten länger wurden und es schließlich dämmerte.
»Weißt du, es war Alex, der meine Liebe zur Wissenschaft geweckt hat«, sagte ich dann.
»Für die planetare Astronomie und all das.«
»Wirklich?«
Ich vermochte ihr Gesicht im Dunkel kaum noch erkennen. »Ja. Er war zehn Jahre älter als ich. Soweit ich mich erinnere, wollte ich ihm in jeder Hinsicht nacheifern.«
»Einschließlich der wissenschaftlichen Forschung.«
Ich nickte und erinnerte mich: »Es fing damit an, dass er mir gezeigt hat, wo er auf dem Mars gewesen war. Ich habe VR-Ausflüge mit ihm gemacht. Es war faszinierend! Eine fremde Welt. Es gab so viel zu sehen, so viel zu entdecken.«
Gwyneth saß in der Dunkelheit neben mir und hörte sich geduldig meine Ergüsse an.
»Es ist nicht das Geld«, sagte ich schließlich. »Ist es nicht. Ich werde zur Venus fliegen, um meinen Bruder zu suchen. Ich gehe wegen Alex.«
Sie küsste mich leicht auf die Wange und flüsterte: »Natürlich tust du das, Van.«
War das wirklich wahr? Sagte überhaupt einer von uns die Wahrheit? Ich wollte, dass es wahr war. Mit einem plötzlichen Schuldgefühl erkannte ich, dass ich diese Wahrheit brauchte.
»Das Apartment in Barcelona«, sagte sie unvermittelt.
»Was ist damit?«, fragte ich.
Sie zögerte für einen langen Moment. »Es ist nur ... siehst du, falls du nicht von der Expedition zurückkehrst, bin ich nicht mehr berechtigt, mich dort aufzuhalten. Dein Vater wird mich rauswerfen, nicht wahr? Oder seine Anwälte werden das besorgen.«
Nein, sagte ich mir. Vater würde dich nicht rauswerfen, meine Liebe. Er würde diese vielversprechenden Augen und die schlanke Gestalt mit Wohlgefallen mustern und darauf bestehen, dass du ihm aus Dankbarkeit den Schwanz zu lutschen hast.
Sie küsste mich erneut, diesmal auf den Mund.
Wir sprachen nie über Liebe, über Dankbarkeit auch nicht, aber wir verstanden uns auch ohne Worte.
START
»Mr. Humphries, Sie müssen eine Entscheidung treffen«, sagte Rodriguez fast flehentlich. »Wer, zum Teufel, soll diese Mission nun leiten?«
Ich wunderte mich selbst über diesen harmlosen Fluch aus seinem Mund. Das geht ihm wirklich an die Nieren, erkannte ich. Sein Gesichtsausdruck spiegelte die Anspannung wider, unter der er stand. Er machte einen beinahe verzweifelten Eindruck.
Wir befanden uns in meinem Büro auf dem Startkomplex auf Tarawa. Ein Raumclipper, der uns in einer Stunde in den Orbit bringen sollte, wurde gerade auf der Startrampe klargemacht. Rodriguez saß mir in verkrampfter Körperhaltung am Tisch gegenüber.
Mein Bürostuhl war ein so genannter Relaxstuhl. Die Ausstattung war vom Feinsten.
Weiche Kunstlederpolsterung. Verstellbare Kopfstütze. Als Liegesessel ausklappbar.
Integrierte Heiz- und Kommunikationselemente. Stress ist allerdings nicht nur körperlich bedingt, und ich spürte, wie die Muskeln und Sehnen von Nacken und Schultern sich verspannten wie auf einer Folterbank.
Rodriguez steckte bereits in der hellbeigen Fliegerkombination und war startbereit.
Aber er verlangte eine Entscheidung von mir, ehe wir losflogen.
»Sie oder ich«, sagte er mit tiefer Bitterkeit in der Stimme. »Einer von uns wird zum Kapitän ernannt, und der andere wird nach Hause geschickt. Wer wird es sein?«
Ich hatte die Entscheidung Monate vor mir hergeschoben und war Rodriguez und Duchamp nach Möglichkeit aus dem Weg gegangen.
Ich hatte auch die perfekte Entschuldigung parat: Ich büffelte planetare Astronomie.
Mickey hatte gesagt, dass, wenn sie nicht zur Venus mitfliegen könne, ich ihr ›Ersatzmann‹ sein solle. Ich würde die seismischen Sonden und anderen Sensoren bedienen, die wir an Bord der Hesperos mitführten, während sie mich von Kalifornien aus anleitete.
Während dieser Vorbereitungszeit hatte Desiree Duchamp durch ihr Verhalten den Eindruck erweckt, dass ihre Ernennung zum Kapitän der Hesperos nur noch eine Formsache sei. Dementsprechend hochnäsig war sie gegenüber den Besatzungsmitgliedern aufgetreten und hatte Rodriguez wie einen Laufburschen behandelt. Rodriguez hatte ganz recht. Ich konnte die Entscheidung nicht länger aufschieben.
Doch bevor ich noch den Mund aufbekam,
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