Planlos ins Glueck
hatte er vermutlich recht. Und Jane hätte genauso wenig für ihren Bruder gebürgt. Jedenfalls nicht, solange er diese Scheiß-drauf-Haltung an den Tag legte und man nicht sicher sein konnte, ob er sich nicht am nächsten Tag für einen langen Urlaub nach Mexiko absetzte.
„Gibt es sonst noch was, das du mir sagen möchtest? Irgendwas, was sie noch in deinem Zimmer gefunden haben könnten?“
„Nein, nichts. Sie fragen mich immer wieder nach so ’nem Mädchen, aber ich hab noch nie von ihr gehört.“
Jane stellten sich die Nackenhaare auf. „Was für ein Mädchen?“
„Michelle irgendwas. Der hat wohl einer die Handtasche geklaut.“
„Und warst du dieser Jemand?“
„Keine Ahnung. Vielleicht.“
Jane verlor ihr letztes Quäntchen Geduld. „Also, wie viele Handtaschen hast du mitgehen lassen, Jessie?“
„Keine Ahnung. Fünfzehn vielleicht. Im Ryders stellen die Mädchen die immer auf den Boden, wenn sie tanzen wollen. Die lassen die einfach da stehen. Voll dämlich, echt.“
Fünfzehn? Der Inhalt von fünfzehn Handtaschen konnte locker über tausend Dollar wert sein. Und damit handelte es sich um eine schwere Straftat. „Genau, sie sind dämlich. Hat man dir schon einen Anwalt zugeteilt?“
„Ich musste da schon so Formulare ausfüllen. Für den Pflichtverteidiger.“
„Du redest nicht mit den Cops, wenn er nicht dabei ist. Und ich tue mein Bestes, um bis Montag einen ordentlichen Anwalt für dich aufzutreiben, okay? Und dann versuche ich, mehr über diese Michelle rauszufinden. Bis dahin sagst du gar nichts, verstanden?“
„Alles klar.“ Die Einminutenglocke klingelte, und Jessie verzog das Gesicht. „Sag Mom und Dad, dass es mir leidtut. Bitte!“
„Mach ich. Und du solltest mal anfangen zu überlegen, was du machen willst, wenn du hier rauskommst. Dad lässt dich garantiert nicht wieder ins Haus zurück.“
Er nickte, und seine Nasenspitze verfärbte sich rot, so als würde er mit den Tränen kämpfen. „Tut mir leid, Jane. Ehrlich. Ich wollte doch nich …“ Am entgegengesetzten Ende des Raums setzte sich ein Cop in Bewegung.
„Ich hab dich lieb, Jessie.“
„Ich dich auch.“ Der Officer nahm ihm den Hörer aus der Hand und legte ihn auf die Gabel zurück. Jessies Augen glänzten feucht, aber als der Cop ihn am Ellenbogen packte und hochzerrte, setzte er ein tapferes schiefes Lächeln auf.
Jane suchte den Blick des Polizisten, aber der Mann beachtete sie gar nicht. Hier drinnen war sie ein Niemand. Menschlicher Abschaum mit krimineller Verwandtschaft. Auch daran konnte sie sich jetzt wieder erinnern: wie die Beamten durch sie und ihre Mutter hindurchgesehen hatten. Oder – und das war noch schlimmer gewesen – mit angewiderter Miene zu ihnen herübergestarrt und die Köpfe geschüttelt hatten.
Jane legte den Hörer auf und stand wie betäubt auf. Es war Samstagnachmittag, und sie musste dringend einen guten Anwalt für Jessie finden. Ihre Mom würde das nicht hinkriegen. Immer wenn es Ärger gab, steckte sie einfach den Kopf in den Sand. Und ihrem Stiefvater mangelte es an dem nötigen Charme, um einen Anwalt zu bezirzen, bis er sich zu einem Wochenend-Noteinsatz bereit erklärte. Mac war stark und zuverlässig und praktisch begabt. Aber am Telefon war er die reinste Katastrophe.
Jane war diejenige, die in Aspen lebte. Sie war diejenige, diemit einem Mann zusammen gewesen war, der im Büro der Staatsanwaltschaft arbeitete.
In den letzten Jahren war sie so gut wie nie zu Hause bei ihren Eltern gewesen. Sie hatte versucht, sich so weit wie möglich von ihrer Familie zu distanzieren, ohne sie ganz aufgeben zu müssen. Wenn sie mehr Zeit mit Jessie verbracht hätte, wäre vielleicht kein Dieb aus ihm geworden. Wenn sie ihn nicht im Stich gelassen hätte, wäre er vielleicht nicht auf den schwachsinnigen Gedanken gekommen, dass es in Ordnung war, Geld von leichtsinnigen Mädchen zu stehlen.
Und was auch immer aus ihm geworden war: Er war immer noch ihr Bruder. Selbst wenn sie nicht vorhatte, ihn jemals ihren Freunden vorzustellen. Er war ihr Bruder, und trotz allem wusste sie, dass er ein gutes Herz hatte.
Sie würde alles tun, um einen Weg zu finden, ihm zu helfen.
6. KAPITEL
C hase umklammerte das Lenkrad und atmete tief durch. Ein und wieder aus, ein und wieder aus. Zwanzigmal hintereinander. Trotzdem kochte immer wieder die Wut in ihm hoch, wenn er zur Eingangstür von Jennings Architecture hinübersah.
Als er Freitagnacht aus dem Bad gekommen war, mit einem
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