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Plasma City

Plasma City

Titel: Plasma City Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Jon Williams
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Constantine tonlos. »Der Gehenkte ist dem Leben abträglich. Binnen weniger Tage wird der Körper zu einer leeren Hülle. Die Seele des Opfers geht vermutlich den Weg, den alle Seelen gehen.«
    Aiah lehnt sich traurig zurück und legt den Kopf ans dicke Polster. »Und was ist mit den Opfern? Welche Opfer soll er bekommen?«
    Constantine seufzt. »Nun, Kriminelle, denke ich. Vielleicht einige politische Anführer aus Caraqui, verdient hätten sie es. Es ist eine traurige Tatsache des politischen Lebens, dass man mühelos die passenden Kandidaten findet, sobald man einmal beschlossen hat, dass es Leute geben könnte, die den Tod verdient haben.«
    »Was ist mit diesem Kult, dem du angehört hast? Was hat er euren Gehenkten geopfert?«
    »Mein Vetter Herome war der Priester. Zugleich war er für unsere politischen Gefangenen verantwortlich.
    Der Gehenkte hatte keinen Mangel an Seelen, die er verschlingen konnte.«
    Aiah schaudert. Constantine spricht ruhig und sachlich weiter. »Jahre später hat der Gehenkte auf meine Anregung hin Herome und seinen ganzen Kreis von Anhängern vernichtet. Er mochte weder sie noch die Dinge, die sie von ihm verlangt haben. Sogar unter Seinesgleichen genießt er hohes Ansehen. Einst war er Taikoen – Taikoen der Große, der Atavir vor den Sklavenmagiern gerettet hat.«
    Aiah sieht Constantine erstaunt an. Taikoen ist einer der größten Helden unserer Geschichte.
    »Er wird auf der ganzen Welt von vielen Kulten verehrt.« Ein kaltes Lächeln spielt um Constantines Lippen. »Würden sie ihn immer noch verehren, wenn sie wussten, was aus ihm geworden ist? In den letzten fünfhundert Jahren gab es keine historische Persönlichkeit, die ich verehrt habe wie ihn, aber als ich ihn traf, war er Heromes Sklave, gebannt von einem schmierigen kleinen Gefängniswärter. Nach Taikoens Rückzug verlor er sich im Plasma, und jetzt kann er nicht mehr ohne Plasma leben. Dachtest du, er wäre aus der Wand gekommen? Nein, er kam aus dem Kabel. Dort lebt er jetzt. Außerhalb einer Plasmaquelle kann er sich nicht lange halten.«
    Aiah fährt sich mit den Fingern durchs Haar. »Ich weiß nicht, was ich dazu sagen soll«, meint sie traurig.
    Constantine beugt sich vor und nimmt ihre Hand. Er sieht sie lange an, und Aiah erkennt Schmerz und Verlangen in seinen Augen. »Es ist das Schlimmste, was ich je getan habe oder was ich je tun werde«, sagt er. »Aber irgendwie tröstet es mich, dass du davon weißt.«
    Es entsteht ein gedehntes Schweigen. Aiahs Hand liegt warm zwischen seinen Händen. »Ich habe nicht das Recht, dich darum zu bitten«, sagt er, »aber kannst du mir verzeihen?«
    Aiah leckt sich die Lippen und zieht die Hand zurück. »Bringst du mich nach Old Shorings?«, fragt sie.
    Er sieht sie überrascht an. »Jetzt gleich?«
    »Ja.«
    Er dreht sich zu Martinus um und gibt ihm eine entsprechende Anordnung. Sie reicht ihm das Glas. »Noch etwas Brandy, bitte«, sagt sie. »Und ein Stück Papier und einen Stift.«
    Es ist eine lange Fahrt, und sie haben sich nicht mehr viel zu sagen. Als sie das Viertel erreichen, dirigiert Aiah die Limousine zu der Stelle, die sie aufsuchen wollte, zum grauen Steintempel auf dem kleinen Grundstück. Aiah legt sich Constantines Notizblock aufs Knie und schreibt auf die dünne Plastikfolie:
    Lass meinen Freund Caraqui haben.
    Sie reißt das Blatt ab, nimmt die Brandyflasche und steigt aus. Straßendirnen schauen beunruhigt herüber, aber als Martinus ebenfalls aussteigt und Wache hält, verlieren sie rasch das Interesse. Aiah geht über die leere Straße zum Tempel, betrachtet die Gravuren, die Pflanzen und Schlangen und Sagengestalten … dann kniet sie sich auf den kalten Stein und spürt die Reiskörner unter den Knien.
    Kleine Papierstücke flattern in den Ritzen der riesigen Tür. Verblichene Blumen und ein paar kleine Münzen liegen verstreut auf der Treppenstufe. Aiah öffnet die Brandyflasche und gießt den Schnaps als Opfer auf den Stein. Dann beugt sie sich vor, bis ihre Stirn am rostigen Eisenportal lehnt, faltet das Stück Papier ganz klein zusammen und schiebt es in den Spalt zwischen den beiden Metalltüren.
    »Wer dort auch ist«, sagt sie, »bitte vergib meinem Freund und gewähre ihm, was er haben will.«
    Sie gießt noch etwas Brandy aus und wiederholt viele Male ihr Gebet. Nach einer Weile sind die Knie feucht vom Brandy. Als die Flasche leer ist, lässt sie sie auf der Treppenstufe stehen und geht unsicher zum Wagen zurück. Sie setzt sich neben

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