Plasma City
schon beizeiten einfallen, was sie damit anfangen will.
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Sie läuft die Bursary Street hinunter, Flammen schießen aus den Fingerspitzen. Die Menschen schreien und verdorren und sterben auf der Stelle. Gebäude explodieren, Scheiben platzen heraus, sobald sie nur den Finger krümmt. Glas zerspringt in tausend Stücke, wenn sie schreit. Die Macht brodelt in ihren Knochen wie flüssiges Feuer.
Ihr eigener Schrei weckt sie, mit rasendem Herzen fährt sie auf und sitzt in ihrem stummen, gläsernen Wohnturm im Bett.
Der Trackline-Waggon ruckelt heftig
und jagt wieder einmal eine Erschütterung durch Aiahs Beine bis hinauf in die Nieren. Sie steht am Ende der Fahrgastkabine, die wie immer im Feierabendverkehr überfüllt ist. Nach acht Stunden Arbeit auf der New Parade ist sie erschöpft, doch in der Wirbelsäule kribbelt noch ein Fünkchen, ein Hauch des Plasmas, das sie tags zuvor zu sich genommen hat.
Sie will wieder zum Terminal, um die Batterien abzuholen. In zwei Tagen ist Senko’s Day und wenn der Katastrophenschutz nicht darauf besteht, dass sie auch am Feiertag weiter im Untergrund herumwühlt, kann sie den Tag mit ihrer Familie verbringen und vielleicht sogar etwas Plasma verkaufen.
Wieder ruckt der Trackline-Wagen, die Beleuchtung flackert und erlischt ganz. Der Mann, der hinter Aiah steht, streicht mit dem Handrücken über ihren Hintern und die Schenkel. Normalerweise würde sie so etwas ignorieren, denn durch den wasserdichten Overall kann er ohnehin nicht viel spüren, aber die Plasmafunken, die noch in ihr glimmen, lassen sie über energische Gegenwehr nachdenken. Vielleicht ein kleiner, aufwärts gerichteter Stoß mit dem Ellenbogen …
Die Lampen gehen wieder an, leuchten jedoch nicht mit voller Kraft, sondern strahlen nur einen eigenartigen gelblichen Schimmer ab, in dem sie nicht mehr als ein paar eingefallene Jaspeeri-Gesichter mit langen Nasen sehen kann. Auf einmal wird ihr bewusst, dass sie die einzige dunkelhäutige Barkazil im Zug ist und dass sie ohne Rückendeckung vom kräftigen Grandshuk mitten ins Gebiet der Jaspeeri Nation fährt. In der Untergrundbahn begrapscht zu werden, ist womöglich noch ihre kleinste Sorge. Vielleicht, denkt sie, sollte sie sich um etwas Schutz bemühen. Einer ihrer Verwandten könnte ihr vielleicht eine Feuerwaffe besorgen.
An der nächsten Haltestelle lässt das Gedränge etwas nach, weil einige Leute aussteigen. Aiah wechselt den Standort. Von hier aus kann sie den Bahnsteig mit den breiten Reklametafeln überblicken – das neue Chromoplay der Lynxoid Brothers, ein Thriller mit Aldemar, eine Zigarettenwerbung, Reklame für Bier und Gulman-Schuhe (›In allen Gassen und auf allen Straßen‹), noch ein neues Chromo mit dem Titel Die Herren der Neuen Stadt … sie hat schon davon gehört. Sandvak führt Regie, und der Film beruht angeblich auf dem Leben Constantines. Die Hauptrolle spielt kein Schauspieler, sondern der Opernsänger Kherzaki, der dieser Rolle angeblich die notwendige Würde verleiht.
Constantine war in Aiahs Jugend ständig in den Nachrichten. Die Herren der Neuen Stadt ist nicht das erste Chromo, das über ihn und die Kriege in Cheloki gedreht wurde, doch es ist das erste, das ein solches Aufsehen erregt. Sein Name, sein Bild und seine Mission haben damals die halbe Welt in ihren Bann geschlagen. Als sie in der Schule war, hatte sie ein Bild von Constantine auf der Bank liegen, und natürlich hat sie seine Bücher Energie und die Neue Stadt und Regierung und Freiheit gelesen.
Einer ihrer Cousins, Chavan, ließ sich sogar hinreißen, für Constantine kämpfen zu wollen. Allerdings wurde er wegen eines kleinen Diebstahls in Margathan verhaftet und ist noch nicht einmal bis Cheloki gekommen.
Antenne Zwölf sendet mit 1800mm. BAW.
Sie kann sich nicht vorstellen, was Constantine in den Mage Towers tut. Jaspeer scheint viel zu harmlos für ihn zu sein.
Vielleicht ist er einfach alt geworden, denkt sie. Vielleicht sitzt er jetzt da oben und benutzt seine Begabungen nur noch, um Luftreklamen für Snap! oder Aero-flash-Autos zu entwerfen.
Mit einem Ruck verlässt der Trackline-Wagen die Station. Der Terminal ist noch zwei Haltestellen entfernt. Es wird Zeit, dass Aiah sich durch die dicht gedrängten Fahrgäste einen Weg zur Tür bahnt.
Im Gebiet der Jaspeeri Nation muss sie vorsichtig sein.
Was auch immer in dieser Situation unter ›vorsichtig‹ zu verstehen ist.
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Als Aiah sich dem
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