Plasma City
Anruf kommt nicht aus dem Haus. Sie stöpselt den Kopfhörer um.
»Hallo«, sagt sie.
»Aiah?« Es ist ihre Großmutter. »Ich habe angerufen, aber du warst nicht zu Hause.«
Aiahs Herz tut einen ängstlichen Sprung. »Ich mache Überstunden«, sagt sie. »Wir suchen immer noch nach dem Leck.«
»Deine Mutter ist dumm«, sagt Galaiah, »aber das heißt nicht, dass sie völlig falsch liegt. Hast du Schwierigkeiten?«
Aiah bemüht sich, gleichmütig zu sprechen. »Nein«, antwortet sie. »Nein, eigentlich nicht.«
»Du weißt ja, dass du mit mir reden kannst. Ich werde Gurrah nichts verraten. Und auch sonst niemandem, falls du dir deshalb Sorgen machst.«
Aiah zögert. Eigentlich will sie Galaiah unbedingt von ihrer Entdeckung erzählen, von ihren Plänen, ihren Ängsten …
Dann kommt ein Anruf auf der anderen Leitung. »Entschuldige, Nana«, sagt sie. »Ich bekomme einen Anruf, ich bin gleich wieder da.«
Sie steckt den Kopfhörer in den Hausanschluss und hört eine vertraute, vom Zigarettenrauch heisere Stimme, die atemlos eine zehnminütige Plasmasendung auf 044 Grad anfordert. »In Ordnung«, wiederholt sie. »15.30 Uhr, Antenne Fünf auf 044 Grad mit 08 mm, Sendung endet um 15.40 Uhr. Bestätigt.«
Sie programmiert am Computer die Sendung und steckt den Kopfhörer wieder in die Amtsleitung.
»Nana?«
»Ich bin noch da.«
Aiah holt tief Luft. Eine Hand bedeckt die Folien auf dem Schreibtisch, als wollte sie die Daten vor den Blicken ihrer Großmutter verbergen. »Ich habe keine Schwierigkeiten«, sagt sie. »Meine einzige Schwierigkeit ist, dass Gil schon viel zu lange weg ist.«
Es gibt ein kleines Schweigen am anderen Ende. »Wenn du meinst.«
»Falls ich wirklich mal Hilfe brauche«, sagt Aiah, »bist du die Erste, die ich anrufe.«
Es ist besser, wenn ich die Familie ganz heraushalte, denkt Aiah bei sich. Wenn es wirklich schief geht, sollen sie nicht auch noch darunter leiden.
Aiah arbeitet bis zur Pause, meldet sich bei der Vermittlung ab und geht hinunter ins dritte Untergeschoss, wo in grauen Schaltschränken die Telefon- und Steuerleitungen zusammenlaufen. Mit den Krokodilklemmen überbrückt sie einige Kabel und schaltet ihr Bürotelefon auf die Durchwahl 4301. Das ist Rohders Nummer. Nachdem er die Flammenfrau auf der Bursary Street ausgeknipst hat, wurde er ins Krankenhaus der Behörde eingewiesen. Alle Anrufe, die sie von jetzt an macht, werden auf Rohders Konto gebucht.
Als sie noch ein Kind war, hat ihre Familie öfter auf diese Weise Telefondienstleistungen gestohlen.
Sie kehrt ins Büro zurück, steckt den Kopfhörer in die Amtsleitung und drückt nacheinander auf die stählernen Tasten.
»Ja?« Die Männerstimme klingt gelangweilt. Er hat blitzschnell abgehoben, viel schneller als Aiah erwartet hat. Sie erschrickt ein wenig. Dann holt sie Luft und versucht, ihr heftig schlagendes Herz zu beruhigen.
»Ich möchte den Metropoliten Constantine sprechen«, sagt sie.
Noch während sie spricht, hat sie das Gefühl, ein unsichtbarer Stromkreis würde geschlossen. Als würde zwischen ihr und Constantine eine Energie zu fließen beginnen … alles fügt sich wie von selbst zusammen, ein kleiner Schöpfungsakt …
Und ein nicht ganz unwichtiger Teil dieses Schöpfungsaktes, denkt sie, wird eine nagelneue Aiah sein.
Die Mage Towers erheben sich vor Aiah wie eine Gruppe sagenhafter, gefährlicher Riesen. Ein doppelter Kreis hoher, mit schwarzem Glas verkleideter Säulen. Eigentlich sind es Vielecke, aber die Flächen sind so schmal, dass die Türme beinahe rund wirken. Auf ganzer Höhe sind sie mit Antennen, Vorsprüngen und metallenen Auswüchsen versehen, die Plasma sammeln und Eindringlinge abwehren sollen.
Dunkle Regenwolken ziehen niedrig über den Himmel, drängen sich gegen die barocken, spiralförmigen Sendeantennen, die sich auf den Dächern der Türme dem Schild entgegenrecken. Der Doppelkreis der Türme ist genau berechnet, denn die ganze Anlage soll möglichst viel Plasma erzeugen und auffangen. Wie alle anderen Gebäude fügen sich auch die Mage Towers harmonisch ins Gefüge der anderen wichtigen Gebäude ein, von denen einige sogar mehrere Radien entfernt sind.
»Nein, ich muss mit Metropolit Constantine persönlich sprechen …«
Glastüren, die mit goldenen Einlegearbeiten verziert sind, teilen sich vor Aiah, und sie darf den Tunnel betreten, der zu Turm Sieben führt. Unter ihren neuen Stiefeln liegt ein dicker, weicher Teppich. Auf den leicht
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