Plasma City
mit den Armen nach und berührt mit körperlosen Fingern einen immer größeren Abschnitt der Stahlträger. Mit dem Bewusstsein misst sie das Gebäude ab, bis sie das ganze Netzwerk der Stahlstreben erkennt, das Gewicht des Betons spürt und ein Gefühl für die mächtigen Säulen bekommt, die weiter unten das ganze Gewicht tragen.
Wie ein Höhlen bauendes Tier wühlt Aiah sich tiefer und tiefer in den Beton, reißt ihn mit den Krallen auf und wirft ihn hinter sich in den Raum, während das geschmolzene Metall in Fontänen nach oben spritzt Gleichzeitig spürt sie die Gegenwart der Arbeiter die inzwischen sehen und wahrscheinlich auch hören können, dass sie mit der Arbeit begonnen hat. Sie schauen neugierig zu und bleiben vorsichtig auf Abstand. Aiah dringt durch den Beton in die weichere Schicht darunter vor, dann berührt sie mit einem Plasma-Finger einen Stützbalken …
Sie fühlt sich, als würde sie aufleuchten wie eine Neonreklame. Das flüssige Metall rinnt weißglühend durch ihre Adern. Der Stützbalken gehört zu dem Komplex, den sie suchen, zu ihrer Goldgrube. Der schlafende Quell der Kraft erwacht auf einen Schlag zum Leben. Es ist eine überwältigende, unerschöpfliche Kraft, die auf sie einstürmt, als wäre ein Damm gebrochen.
Aiah lacht und beinahe scheint es, als würde ganz Jaspeer unter ihrem Lachen beben. Aiah zieht die Finger heraus und nimmt die Kraft mit sich. Beton zersplittert unter ihren Schlägen. Sie fährt aus der Grube heraus, dass sich die restlichen Stahlträger verbiegen und brechen wie vertrocknete Lakritzstangen.
Die Grube ist freigeräumt, und die Arbeiter können die Energiequelle anzapfen. Ihre Anima schwebt in einer wallenden Wolke aus Betonstaub über dem Loch. Sie ist erfüllt von der Kraft, sie fühlt sich wie eine Riesin mit einem Herzen aus loderndem Feuer. Ihr fällt ein, dass sie die Arbeiter warnen sollte, auf keinen Fall den Balken da unten zu berühren, der mit der Energiequelle verbunden ist. Aber die Arbeiter können ihre Anima nicht sehen, und sie weiß nicht, wie sie sich ihnen mitteilen soll …
Sie erzeugt einen Wind, um den Staub wegzuwehen, und versucht, ihren Körper nachzubauen, wie sie sich ihn vorstellt. Sie stellt sich den Umriss vor, die Haut und die Sehnen und die Größe, ein Herz, das glühendes Plasma durch die Adern pumpt. Aiah bringt die Plasma-Haut dazu, aus sich heraus zu leuchten, bis sie für die Arbeiter sichtbar wird. Die Männer reagieren, heben die Hände, um sich vor dem Licht zu schützen. Sie sieht den rotgoldenen Schein auf den Säulen. Auch die Staubwolken, die sie in die Ecken des Raums vertrieben hat, leuchten rötlich. Sie macht sich einen Mund, eine Zunge, Atem … eine Stimme, damit sie sprechen kann.
»Der Eisenbalken unten in der Grube führt Spannung«, sagt sie. »Ihr dürft ihn nicht berühren. Nickt wenn ihr mich verstanden habt.«
Die Männer stehen wie betäubt herum und halten die Hände auf die Ohren, aber sie nicken. Aiah lacht triumphierend über die Energie, die sie durchflutet und über die sie verfügen kann. Wieder werden Hände eilig auf Ohren gepresst.
Ihre Aufgabe ist erledigt, aber Aiah will nicht gehen. Die Energie, die durch ihren Körper strömt, belebt sie und gibt ihr ein Gefühl von Freiheit, wie sie es noch nie hatte. Nichts scheint außerhalb ihrer Möglichkeiten zu liegen. Sie überlegt, ob sie nicht mit ihrer Anima einen Spaziergang machen soll … zum Himmel fliegen, ein paar schreiende Ungerechtigkeiten beheben, ein Gedicht ans Firmament malen … etwas Gewaltiges tun.
Aber nein. Die Arbeiter müssen in die Grube, und es wäre gefährlich, wenn aus der Grube eine Speiseleitung aus Plasma zu ihr heraufführt. Aiah baut die zweite Leitung, die hinunter zur Quelle führt, wieder ab … doch sie muss sich überwinden und zögert ein paar Sekunden lang, bevor sie es tut.
Der rote Schein auf den gemauerten Stützsäulen verblasst zu einem stumpfen Orange. Obwohl sie immer noch mit dem Handsender in den Mage Towers verbunden ist, fühlt sie sich zwergenhaft klein.
Es wird Zeit, zu den Mage Towers zurückzukehren. Sie konzentriert sich auf die zweite Speiseleitung, die sie von den Mage Towers aus mit Energie versorgt und lässt ihre Anima weiter schrumpfen. Sie lässt ihre Plasma-Sinne, die ihr so strahlende, lebendige Eindrücke vermittelt haben, in sich zusammenfallen, um in die armselige Realität einer jungen Frau zurückzukehren, die viele Radien entfernt in einer fremden Wohnung sitzt
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