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Plasma

Plasma

Titel: Plasma Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeff Carlson
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ein Versteck auf der anderen Seite von Cam suchte.
    Das Dreieck war ihre Standardposition – und ihre Stärke. Es kam einem Kreis am nächsten und erlaubte ihnen, die Blicke in alle Richtungen schweifen zu lassen.
    Über dem Weg schwebte ein orangeroter Staubschleier, der launische Wind hatte sich bereits am frühen Vormittag gelegt. Es dauerte vermutlich Stunden, ehe sich die feinen, trockenen Körnchen wieder absetzten, aber sie konnten es sich nicht leisten, auf einen Wetterumschwung zu warten. Stattdessen hielten sie nach anderen Staubspuren Ausschau.
    Kein Mensch, dachte Ruth. Hier draußen wird vielleicht nie mehr Lehen Einzug halten.
    Im Westen war die Sierra ein gestufter Wall aus blauen Schatten und düsteren Wäldern. Die Farben hellten sich auf und zerflossen in den ariden Ausläufern der Bergkette. Sie schätzten, dass die meisten Überlebenden entlang der unebenen Kanten nach Norden oder Süden zogen. Und auch russische Truppen, die sie verfolgten, würden den gleichen Weg nehmen.
    Seit vielen Meilen hatten Ruth, Cam und Newcombe keinen Hauch von Grün gesehen. Die Maschinenpest war für diese Gegend mehr als eine Katastrophe gewesen. Weder Unkraut noch der robuste Wüstenbeifuß hatten überlebt. Hier und da ragten ein paar verdorrte Stängel in den Wind. Mehrmals waren die Gefährten an schwarzen Flecken vorbeigekommen, die sich als die zerfallenen Reste von Gräsern und Wildblumen entpuppten. Die sengende Hitze hatte sämtliche Insekten vernichtet, was wiederum die Reptilien und die Vegetation zum Tod verurteilte. Die aus dem Gleichgewicht geratene Biosphäre war gekippt. Die Erde verbrannte, die Luft überhitzte sich und sog ihnen jeden Tropfen Flüssigkeit aus dem Leib.
    Ruth trug unter ihrer verdreckten Jacke und Hose nur Unterwäsche und ein T-Shirt, aber sie hatte das Gefühl, in ihrem eigenen Saft zu schmoren.
    Ausreichend Wasser zu trinken, hatte sich zu einer Frage von Leben und Tod entwickelt. Jeden Tag benötigten sie mehr davon, als sie tragen konnten. Zum Glück allerdings waren sie allmählich auch in die Zivilisation zurückgekehrt. Sie streiften kleine Orte mit Namen wie Chilcoot und Hallelujah Junction. Der Highway 395, der parallel zu ihrer Wanderroute nach Norden verlief, war von liegen gebliebenen Autos und Armeelastern dicht gesäumt. Sie besorgten sich neue Kleidung und Stiefel. Und sie fanden jede Menge Flaschen und Dosen, wenn sich auch viele in der Sonne aufgebläht hatten oder geplatzt waren.
    Der Highway bot keinen Schutz vor dem Staub. Roter Schmutz und Sand wehte über den Asphalt, sammelte sich an Autos und Leitplanken, bildete Streifen und Dünen. Er deckte Zäune und Drähte zu und verwandelte Abzugsgräben in weiche Fallgruben. Einmal hatte sich Ruth den Knöchel an einem im Sand verborgenen Löschhydranten aufgerissen, und so gingen sie die meiste Zeit querfeldein.
    Noch hatten sie keine zweite Staubwolke entdeckt. Die meisten Tage waren windig gewesen. Das verwischte zwar ihre Spur, würde aber auch die Fährte von eventuellen Verfolgern auslöschen. Ständig fragten sie sich, ob man die Staubfahnen, die sie aufwirbelten, von Flugzeugen oder Satelliten aus beobachten konnte. Um sie herum war immer Bewegung. Gewaltige Windhosen wanderten in die Wüste hinaus, verschwanden und schnellten wieder hoch, insbesondere nach Osten hin. Sie hofften, dass man sie selbst für einen dieser vielen Staubteufel hielte.
    »Schscht«, wisperte Cam. Newcombe und dann Ruth wiederholten das Signal. Sie trafen sich im Schattenstreifen eines großen Felsblocks. Ruth ließ die Blicke über seine verwitterte Oberfläche gleiten, während ihre gesunde Hand nach dem harten, runden Gegenstand in ihrer Hosentasche tastete. Sie besaß immer noch den Stein mit den eingeritzten Kreuzen, den sie vom ersten Gipfel mitgenommen hatte. Immer öfter geschah es, dass sie unbelebte Gegenstände mit Respekt behandelte, dass sie alles, was sie berührte, zu einem Freund oder Feind werden ließ.
    Tief im Innern wusste sie jedoch, dass dies albern war. Aber sie hatte so etwas wie einen Aberglauben entwickelt. Es stand doch außer Frage, dass manche Dinge zum Beißen neigten. Sie würde die scharfen Kanten des Löschhydranten, die durch die Hose tief in ihr Bein geschnitten hatten, nicht so schnell wieder vergessen. Warum also sollte sie sich nicht zu gutartigen Dingen wie dem kleinen Stein oder dem sehr viel größeren Felsblock hingezogen fühlen? Es war das starke Gefühl, dass sie mit allem, was sie umgab,

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