Plasma
sich über den Zeitpunkt nicht einig. Ruth gab ehrlich zu, dass die Ärzte in Leadville Bedenken wegen ihrer Knochendichte geäußert und gemeint hatten, es könne lange dauern, bis die Bruchstelle wieder zusammengewachsen sei. Noch hatte sie Schmerzen, was vermutlich kein gutes Zeichen war.
»Kommt er voran?«, flüsterte Ruth. Cam gab keine Antwort. Ihre Aufgabe war die Absicherung nach hinten, aber sie musste schon ihre ganze Selbstbeherrschung aufbieten, um sich nicht umzudrehen und Newcombe zu beobachten. Diesen Teil der Mission hatte Cam übernommen. Er behielt das Gelände zwischen ihrem Versteck und dem Flugfeld im Auge, für den Fall, dass Newcombe etwas aufscheuchte, das ihm gefährlich werden konnte. Der Boden war trügerisch. Die Wüste lag wie eine weite rote Ebene vor ihnen, aber das täuschte, wie sie zu ihrem Leidwesen erfahren hatten. Verborgene Wellen, Rinnen und Felsbrocken machten das Terrain holprig und unübersichtlich.
»Hey, hörst du mir zu?«, fragte Ruth.
»Er macht seine Sache gut.«
Die Sonne blitzte auf ihrer Schutzbrille, als sie sich zu weit hinter dem Felsblock hervorwagte, um einen Blick zur Seite zu werfen, aber Cam schaute sie nicht an. Leeres Rauschen aus dem Funkgerät. Warmer Schweiß, der ihre Rippen entlangrieselte.
Du bist sauer auf mich, dachte sie.
Wenn sie Seite an Seite schliefen, sprang ein elektrischer Funke über, und mehr als einmal hatte sie trotz ihrer Erschöpfung Unruhe verspürt. Sie befanden sich immer noch in der denkbar ungünstigsten Lage für eine Romanze, vor Schmutz starrend, ausgepowert, bedroht von Insekten und feindlichen Truppen. Die Spannung zwischen ihnen war unerträglich geworden.
Sie fanden Möglichkeiten, sich ohne Newcombe zu treffen – etwa ein kurzes Verschnaufen, wenn der Sergeant vorausging, um das Terrain auszukundschaften. Auch die Suche nach Nahrungsmitteln bot eine gute Ausflucht. Sie hatten sich mehrmals geküsst und vorsichtig berührt. Ruth genoss es trotz der unförmigen Klamotten, sich eng an Cam zu schmiegen. Von den Nächten hatte sie sich etwas mehr erhofft. Gewiss, es bestand die Gefahr, sich die Maschinenpest zu holen. Andererseits wusste sie, dass die Kleidung kaum Schutz vor den Nanos bot. Sie dachte unentwegt darüber nach. Wenn ich die Hose nach unten streife und er den Handschuh auszieht … Zwei Nächte zuvor hatte sie vergeblich versucht, sich selbst zu befriedigen, während Cam schlief.
»Denk an unser Signal«, sagte Cam und reichte ihr den Feldstecher.
»Sei vorsichtig!«
Er schien nicht mehr zu wollen. Er stellte seinen Rucksack neben Newcombes Marschgepäck ab und humpelte rasch davon, in einem weiten Bogen nach links. Auf diese Weise konnten die beiden Männer das Flugfeld in die Zange nehmen.
Ruth presste ihren Pfefferminzkaugummi mit der Zunge an die Rückseite der Zähne und schob die gesunde Hand zwischen die Schenkel. Sie spürte die ausgefransten Hosennähte und den runden Stein in ihrer Tasche. Sie hätte einfach von sich aus die Gelegenheit ergreifen sollen. In ihrem früheren Leben hätte sie das auch getan. Sich ein wenig Spaß verschafft. Schließlich konnten sie beide in zehn Minuten tot sein.
Nach kurzer Zeit verschmolz Cams Gestalt mit dem Gelände. Nur Staub blieb zurück. Der Horizont flimmerte in der Hitze. Ruth drehte den Kopf unentwegt in alle Richtungen. Jetzt, da sie allein in ihrem Versteck wartete, musste sie den Feldstecher um volle dreihundertsechzig Grad schwenken. Und doch ertappte sie sich dabei, meist auf den Punkt zu starren, wo Cam verschwunden war. Sie lächelte bitter. Du liebst ihn nicht, dachte sie.
Der Himmel erzitterte, bevor ihre dreißig Minuten um waren. Kampfjets kamen in drei Pfeilformationen aus dem Nordosten geschossen und jagten dicht über den Boden hinweg. Eine Gruppe unterschied sich von den beiden anderen. Sie erkannte mittlerweile das senkrechte Doppelleitwerk der F-35, aber die dritte Gruppe setzte sich aus Maschinen eines Modells zusammen, das sie noch nie zuvor gesehen hatte, mit spitz zulaufender Nase und schmalen, stark gepfeilten Tragflächen. Es spielte aber keine Rolle. Ruths Herz tat einen Sprung – erst vor Begeisterung, dann vor neuer Sorge.
Die Maschinen wurden nicht langsamer. Sie fegten vorbei und stiegen steil in die Sierra auf. Botschaftsfetzen drangen aus dem Funkgerät. »Hotel Yankee, Bravo Quebec. Hotel Yankee, Bravo Quebec. George, bitte melden. Hier ist Flicker Sechs.«
Ruth starrte mit offenem Mund in den dröhnenden Himmel.
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