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Plasma

Plasma

Titel: Plasma Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jeff Carlson
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irgendwie in Verbindung stand, und es brachte sie dem Glauben näher als alles andere bisher.
    Vielleicht gab es wirklich einen Gott im Himmel und auf Erden. Seine Existenz hatte ganz sicher nichts damit zu tun, wie richtig oder falsch Religionen waren. Die Menschheit neigte dazu, ihren Glauben an Wünschen und Sehnsüchten auszurichten, anstatt genau hinzuschauen, wie die Welt wirklich … war. Sie erfand Machtstrukturen für ihr Zusammenleben, verdrehte deutlich erkennbare Fakten, um sich wichtig zu machen. Tatsächlich hatten vor der Pest die meisten erfolgreichen Religionen über Nationen und Kontinente hinweg als Schattenmächte existiert. Was die Väter glaubten, gaben sie an ihre Söhne weiter, und sie wurden ermutigt, so viele Söhne wie möglich zu haben. Aber konnte jemand allen Ernstes annehmen, dass das von der katholischen Kirche erlassene Verbot der Geburtenkontrolle auf der Lehre Jesu beruhte? Oder dass die erzwungene Unwissenheit der Frau in der muslimischen Welt in irgendeiner Form gottgefällig war? Familien mit vielen Kindern waren der einfachste Weg, die Zahl der Gläubigen zu erhöhen … Dennoch konnte man nicht völlig ausschließen, dass die Idee eines höheren Wesens einen wahren Kern enthielt.
    Im Lauf der Geschichte waren die unterschiedlichsten Formen der Götterverehrung entstanden. Auch nach der Maschinenpest hatten neue Religionen einen Aufschwung erlebt. Warum? Trotz des Argwohns und der Gier des alten Affen, der immer noch in ihnen steckte, konnten Menschen klug, rechtschaffen und mutig sein. Hatten die Besten unter ihnen tatsächlich eine Brücke zum Göttlichen entdeckt? Ruth kam allmählich zu dem Schluss, dass es so war, auch wenn ihr Glaube schwach und von Zweifeln geprägt war.
    Die Erde war ein sehr junger Planet in der Lebensspanne des Milchstraßensystems, weit draußen in einen seiner Spiralarme geschleudert. Wenn es einen Gott gab, hatte Er vielleicht die fernsten, fast vergessenen Welten seiner Schöpfung für Experimente benutzt, in dem Wissen, dass die meisten davon fehlschlagen oder zumindest unvollkommen sein würden. Was hoffte Er in Erfahrung zu bringen? Die Grenzen der menschlichen Vorstellungskraft und Stärke?
    Ihr kleiner, mit eingeritzten Kreuzen bedeckter Stein war längst viel mehr als ein Andenken. Er war ein Talisman. Er besaß Macht. Sie konnte das spüren. Der Stein beschützte sie.
    »Was denkt ihr?«, fragte Cam.
    Newcombe suchte mit seinem Fernglas den Norden ab. Ruth wandte sich um und spähte mit zusammengekniffenen Augen in die Wüste. Die Ortschaft Doyle war eine Ansammlung gedrungener Häuserkästen und rechteckiger Werbeschilder auf hohen Metallmasten. Mobil. Carl’s Jr. Dahinter stieg die wellige braune Landschaft im gleißenden Sonnenlicht allmählich zu Hügeln und Bergrücken an.
    Newcombe zuckte die Achseln. Er reichte Ruth den Feldstecher und nahm dafür eine Plastikflasche mit Mineralwasser in Empfang. Sie richtete das Glas auf die wenigen Gebäude am Flugplatz, misstrauisch und zugleich voller Hoffnung. Sie konnte nicht leugnen, dass sie sich auch ein wenig geschmeichelt fühlte. Die Männer akzeptierten sie allmählich als eine Partnerin, auf die man sich verlassen konnte, eine Einschätzung, für die sie hart gearbeitet hatte.
    Ruth war immer zäh gewesen, aber nun hatte sie sich in eine Kriegerin verwandelt, schmal, abgehärtet und zugleich ständig auf dem Sprung. Man konnte sie durchaus als leicht erregbar bezeichnen, aber diese Erregbarkeit war ein kühles, distanziertes, durch lange Erfahrung gedämpftes Gefühl.
    Sie musterte die hohen Gebäude hinter den Zäunen des Flugfelds. »Sieht gut aus«, meinte sie.
    Sie tranken Wasser und warteten. Newcombe reichte zum schnellen Energieaufbau Süßigkeiten herum. Dann holte er wieder das Funkgerät aus seinem Marschgepäck. Er setzte keine Botschaft ab, sondern klickte mehrmals auf die SENDEN- Taste. Ein unterdrücktes Schnalzen wanderte durch den Äther. Ein Ich-bin-hier-Signal. Aber es kam keine Antwort, nur weißes Rauschen.
    Sie hatten noch zweimal direkten Kontakt zu den Rebellen-Streitkräften hergestellt, einmal fast eine Minute lang zu einem Kampfflugzeug, das ein automatisches Relais abwarf. Beide Male hatte Newcombe das Risiko auf sich genommen, geortet oder abgehört zu werden, und ohne Unterbrechung gesprochen, schnell und mit starkem Slang, falls der Feind seine Botschaft aufzeichnete. Er hatte allerdings nie genaue Angaben gemacht, und auch die Piloten erwähnten die

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