Plasma
Exemplar, das sie unter Glas aufbewahrte und vorsichtig einer Handvoll Unkraut in einem größeren Glasbehälter aussetzte. So einfach war das Züchten weiterer Schneeflocken. Das Unkraut löste sich auf, und plötzlich besaß Ruth Billionen von Killermaschinen, obwohl viele dieser neuen Nanos tot oder geschwächt waren. Während Ruth an die zweihundert Stück aussortierte, fand sie sieben weitere intakte Schneeflocken, die sie getrennt versiegelte und anschließend ebenfalls mit Unkraut zusammenbrachte. Zuletzt verteilte sie den wuselnden Inhalt der acht Gläser in Hunderte von kleineren Ampullen. Clusterbomben.
Inzwischen hatte sie erkannt, dass die Schneeflocke auch die ausgedehnten Waldbrände im Westen stoppen konnte. Wenn sie die Nanos entlang der Feuerfront ausstreuten, würden sie das Brennmaterial in Staub verwandeln und so das Inferno ersticken. Und vielleicht gab es sogar noch weitere friedliche Anwendungen.
Auf alle Fälle benötigte sie die Schneeflocke für Testzwecke. Irgendwann, so hoffte sie, würde sie etwas erfinden, um die Menschen gegen das verdammte Ding zu schützen, einen waffenspezifischen ANN beispielsweise. Aber es besaß eine so elementare Struktur, dass Ruth einfach keine Sicherung einfiel. Noch nicht. Vielleicht konnte sie ja im Lauf der Zeit einen Super-Nano entwickeln, der eine Person gegen alles zusammenhielt, selbst gegen eine Kugel. Er würde für ein verbessertes Immunsystem sorgen, das sämtliche Krankheiten und Schäden von den Menschen fernhielt und eine Art Unsterblichkeit schuf.
Noch verlockender war die Vorstellung, mit einer solchen Wundertechnologie Cam zu retten – eine Blaupause seiner DNS zu nutzen, um seine Verletzungen vollständig zu heilen und seinen zerstörten Körper wiederherzustellen.
Der Soldat hatte ihr den richtigen Weg gewiesen. Sie sah Cam aus dem breiten Tal heraufkommen, das den Ort früher beherbergt hatte. Ein Gewirr aus Fußwegen und primitiven Jeep-Trassen durchzog das Terrain. Schlamm-Muren ergossen sich über die kahlen Hänge. Hier und da verschandelten ausgeschlachtete Fahrzeuge die Landschaft, Personenwagen und Laster, die während des ersten Wettrennens zu den Gipfelregionen mit leeren Tanks oder irgendwelchen Defekten liegen geblieben waren. Gerippe, mehr nicht. Auf der verzweifelten Suche nach Baumaterialien hatten die Überlebenden Sitze, Reifen, Motorhauben, Türen, ja sogar Stoßstangen abmontiert. In der Ferne bildeten die Ruinen der Stadt ein Gitterwerk aus Fundamenten und Straßen entlang des unregelmäßigen Seeufers. Ein paar Betonbauten standen noch, ebenso die eingezäunten Asphaltquadrate von drei Tankstellen, aber alles andere, das aus Holz, Metall oder Backstein bestand, war verschwunden.
Ruth fühlte sich fast ebenso verlassen. Sie fragte sich, ob sie die richtige Wahl getroffen hatte. Sie hätte Cam haben können, zumindest für kurze Zeit, aber sie hatte sich stattdessen in ihre Arbeit gestürzt. Es war die gleiche Entscheidung wie immer, und das, obwohl ihr eine schöne Stunde mit ihm neue Kraft und Konzentration geschenkt hätte.
Sie wollte nicht allein sterben.
Die Sonne war vom höchsten Punkt in einen dunstigen, von Kondensstreifen verkritzelten Himmel gekippt. Helikopter knatterten irgendwo im Norden, und Ruth fragte sich, was sie tun würden, wenn der Krieg plötzlich über ihnen ausbrechen würde. Lauf ins Tal, dachte sie. Lauf zu ihm und immer weiter!
Der Trupp bestand aus mehr als einem Dutzend Leute, aber Ruth erkannte Cam sofort an seiner Haltung, obwohl er unter der Last seiner Ausrüstung weit vornübergebeugt ging. Er hatte sich ein Bündel Drahtkäfige über eine Schulter geschlungen. Außerdem trug er einen Rucksack und hatte sich dicke Lederhandschuhe in den Gürtel gestopft. Ihr Herz schlug schneller, als sie ihn so sah, offensichtlich in seinem Element …
Cam unterhielt sich lachend mit einer jungen Frau. Ruth runzelte die Stirn. Sie hatte fast eine Stunde gewartet. Ihre linke Hand umschloss die körnige Oberfläche des kleinen Steins, den sie immer noch mit sich herumtrug. Sie hätte zu ihm hinuntergehen können, anstatt mit ihren Gedanken allein zu bleiben, aber sie war sicher, dass er die gleiche Entscheidung getroffen hätte. Geduld haben. Keine Ansteckung riskieren.
Ruth schob den Stein mit den Kreuzen in ihre Hosentasche und ging ihm entgegen. Der Wind zerrte an ihrer Jacke und ihren Haaren. Sie fuhr sich mit den Fingern durch die widerspenstigen Locken. Allmählich brauchte sie einen
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