Plasma
mein Gott!« Taumelnd trat Cam einen Schritt von ihr zurück. Ruth folgte ihm, doch er hob abwehrend die Arme und starrte seine Hände an, als könnte er die subatomaren Maschinen sehen.
»Du weißt, dass ich alles tun werde, was in meiner Macht steht«, sagte Ruth, die seine Ängste teilte. Es war seltsam, dass sie in diesem Augenblick eine wohltuende Vertrautheit spürte. Unbewusst hatte sie gelernt, Cam mit Anspannung und Schmerzen in Verbindung zu bringen, und diese Gefühle fesselten sie auch jetzt wieder an ihn.
Sie litt mit ihm, während sie seine Züge beobachtete. Im Hintergrund warteten seine Freunde, und sie war froh um ihre Stimmen und das Scharren ihrer Stiefel. Der Abstand, den sie zu ihnen geschaffen hatte, verstärkte ihre wiedergewonnene Nähe zu Cam.
»Erinnerst du dich noch, was du in Sacramento gemacht hast?«, fragte sie.
»Ich glaube nicht, dass ich mich von den anderen entfernt habe«, entgegnete er. »Nein«, fügte er entschieden hinzu. »Wirklich nicht. Ich schwöre es.«
Ruth passte sich seinem ruhigen Tonfall an. »Wir kriegen das raus«, sagte sie.
Allison mischte sich ein. Wie eine Katze schob sie sich an Ruth vorbei, mit geducktem Körper, aber straffen Schultern, die Hände geöffnet, als wollten sie vorschnellen und zuschlagen. Es war eine Pose, die sie sich vermutlich in den Lagern angewöhnt hatte, dachte Ruth. Geschmeidig. Kampfbereit.
»Was ist los?«, erkundigte sich Allison. Ihre Stimme wirkte ebenso herausfordernd wie ihre Haltung, und Ruth ahmte sie nach, ohne lange zu überlegen.
»Ich werde auch von Ihnen Blutproben brauchen«, sagte Ruth. Ihr war klar, dass sie das Mädchen einzuschüchtern versuchte.
Allison grinste sie nur an. »Sind Sie deshalb hier?«, fragte sie. Dann nahm sie Cams Hand und schmiegte sich mit ihrem zerschlissenen blauen Pullover an seine Army-Jacke.
»Es ist ein neuer Nanobot aufgetaucht«, erklärte Cam seiner neuen Freundin.
Die beiden Frauen ließen einander keine Sekunde aus den Augen. Ruth war bemüht, sich weder ihre Niederlage noch ihren Respekt anmerken zu lassen. Allison war mutig, sogar verwegen. Irgendwie hatte sie Ähnlichkeit mit Ruths früherem Ich. Genau so hatte sie sich verhalten, bevor ihr das Selbstvertrauen abhanden gekommen war. Allison war bereit, eine Gelegenheit sofort beim Schopf zu ergreifen. Ruth nicht. Sonst hätte sie ihre Chance wahrgenommen, ehe sich Cam und Allison begegneten.
Sie hegte keine Zweifel mehr, als sie die beiden so vor sich stehen sah. Trotz seines von Narben gezeichneten Äußeren hatten ihn viele Frauen bewundert – für das, was er durchgemacht und für das, was er geleistet hatte. Die Anerkennung war etwas, das ihm gefehlt hatte.
Und du verdienst sie, dachte Ruth.
Dennoch war sie am Boden zerstört. Irgendwann auf ihrer langen gemeinsamen Flucht hatte Cam die Geduld verloren, und doch war es ihres Wissens nach das erste und einzige Mal, dass er auf etwas verzichtet hatte, das ihm wirklich am Herzen lag. Es schien, als wollte er sie bestrafen. Seine Entscheidung, sich mit Allison einzulassen, war selbstzerstörerisch und erschwerte das Verhältnis zu der Frau, die er liebte.
Ruth wusste, dass er sie liebte. Seine Beziehung zu Allison war ein Versuch, Ruth zurückzuweisen, bevor sie Nein sagen konnte. Aber sie liebte ihn auch. Sah er das denn nicht?
Zweifellos übte Allison eine echte Anziehungskraft auf Cam aus, während die Gründe des Mädchens Ruth mit Misstrauen erfüllten. Allison würde alles tun, um ihre Macht hier in Grand Lake zu stärken. Und da Cam als einer der Pest-Veteranen eine Berühmtheit war, versuchte Allison vermutlich, etwas von seinem Ansehen auf sich zu lenken.
»Ihr kommt am besten alle mit«, sagte Ruth, an die Gruppe gewandt. »Ich muss euch Blut abnehmen, bevor ihr euch unter die Bewohner von Grand Lake mischt.«
Wie betäubt wandte sie sich von Cam ab. Sie wusste, was sie zu tun hatte. Eine so kritische Entdeckung wie der Geister-Nano konnte nicht bis später warten. Also vergrub sich Ruth achtundvierzig Stunden lang in ihrem Labor und unterbrach die Arbeit nur für zwei große Mahlzeiten und ein paar kleine Schlafpausen.
War der Geist eine Erfindung der Chinesen? Sie wusste, dass Chinas Forschungsprogramme in den Agentenberichten von Leadville die oberste Stelle nach den USA eingenommen hatten. Während des Pestjahrs hatte sich die Rangfolge natürlich verschoben, und ein kleineres Nanotech-Labor konnte der Aufmerksamkeit leicht entgangen sein. Andererseits
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