Plasma
Die Leute haben das Zeug ziemlich schnell verbraucht.«
Hernandez nickte. »Kein Wunder. Die frieren sich hier den Arsch ab.«
»Wir bekommen doch Nachschub, oder?«
Das muss das neue Gerücht sein, dachte Hernandez. Dass die Versorgung gekappt wird. Und wieder war er froh um Gilbrides Freundschaft. »Es könnte eine Weile dauern, bis wieder Kaffee auf ihrer Liste steht«, meinte er. »Aber sonst – selbstverständlich. Die wissen doch, dass wir uns nicht von Moos ernähren können.«
Die Führungsriege in Leadville hätte ihn nicht mit so vielen Waffen ausgestattet, wenn sie befürchten musste, dass hungrige und wütende Soldaten damit eine Meuterei veranstalten könnten. Und doch waren ihre Notrationen unvollständig gewesen, als sie die Kisten öffneten. Fast in jedem Paket fehlten die begehrtesten Sachen – Süßigkeiten, Kaffee, Zahnpasta. Selbst einige der Munitionskästen waren verdächtig leicht gewesen.
»Sie brauchen uns«, sagte Hernandez.
»Klar.«
»Sie wissen, dass Sie mir alles anvertrauen können«, fuhr er nach einer kurzen Pause fort. Er klang dennoch kurz angebunden, fast ungeduldig. »Was immer Sie sagen, es bleibt unter uns, Nate.«
Gilbride stellte seinen schmutzigen Becher auf das Brett mit der Gebietskarte, die Hernandez dort ausgebreitet und mit Reißnägeln befestigt hatte. Er stellte ihn auf die Grenze von Utah, wo keine Kämpfe stattfanden. Nein. An den Rand des hoch gelegenen White River Plateau. Den Gerüchten zufolge hatten ihre eigenen Streitkräfte dort eine Nano-Waffe gegen die Rebellen eingesetzt und zweitausend Männer, Frauen und Kinder umgebracht, nur weil einige der Leute das Verbrechen begangen hatten, eine Verkehrsmaschine wieder flugtauglich zu machen – in der Hoffnung, noch vor Leadville zu den Labors in Sacramento zu gelangen. Stattdessen hatte Leadville ein Exempel statuiert und alle Bewohner der Hochfläche ausgelöscht.
Nordamerika war auf diesen Karten nicht wiederzuerkennen. Im Osten, im Mittelwesten und in den nördlichen Weiten Kanadas gab es kein Leben mehr. Zwei unregelmäßige Streifen im Westen zeigten die Gebiete an, in denen die Menschen der Pest entkommen waren. Das Band, das die Rockies durchzog, war sehr viel breiter als das der Sierras. Ansonsten herrschte Leere.
Rote Pfeile standen für Luftangriffe aus Wyoming, Idaho und British Columbia. Rote Quadrate zeigten vom Loveland Pass vorrückende Panzertruppen, Kreise und Zahlen die geschätzte Stärke der Einheiten unten in Arizona und New Mexico. Einige der Zahlen im früheren Mexiko waren schwarz. Leadville hatte dieser geballten Kampfkraft nichts entgegenzusetzen, außer drei Inseln von Loyalisten.
»Die meisten Leute sind einfach sauer.« Gilbride deutete auf die Karte, als sei diese der Grund für die allgemeine Unzufriedenheit.
Hernandez sah, wie schwer es seinem Freund fiel, die Dinge beim Namen zu nennen. Das rechnete er Gilbride hoch an. Man hatte ihnen im Marine-Korps vor allem beigebracht, ihren Verstand einzusetzen, und der Krieg entlang der Continental Divide wurde nicht mehr um Nahrungsmittel und Rohstoffe geführt. Längst nicht mehr. Jeder wollte den Impf-Nano. Eigentlich durfte er Gilbride nicht einmal die Andeutung einer Meuterei durchgehen lassen ... aber er sagte nur: »Ja. Ja, das sieht nicht so gut aus.« Und das klang nach einer kleinen Ermunterung zum Weiterreden.
Die Militärführung ließ Hernandez über den Stand der Dinge weitgehend im Unklaren. Er wusste, dass dies Absicht war, ein weiteres Mittel, ihn an die kurze Leine zu nehmen. Er war Berufssoldat, und ein dünnes Lächeln umspielte seine Mundwinkel, als ihm der alte Spruch des gemeinen Befehlsempfängers in den Sinn kam: Wir sind wie Pilze. Sie halten uns im Dunkeln und füttern uns mit Mist.
Leadville achtete darauf, dass er keine Entscheidungsfreiheit hatte. Leadville hatte viel zu viele Deserteure erlebt. Deshalb hielt man die Feldkommandanten nicht nur mit Essenszuteilungen kurz, sondern sorgte auch dafür, dass sie so wenig wie möglich über die Gründe und den aktuellen Stand des Krieges erfuhren. Hernandez hatte den Befehl erhalten, Funkstille zu wahren und Quarantänebedingungen einzuhalten, angeblich, um den Rebellen keine Hinweise auf seine Position zu geben, in Wahrheit wohl aber, um ihn gegen feindliche Propaganda abzuschotten. Sie alle waren Amerikaner. Sie besaßen alle die gleiche Ausrüstung. Man hatte Hernandez und anderen Südfront-Kommandanten zwar Frequenzen zugeteilt, die früher von der
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