Plasma
Notizen ins All.
Gustavo hatte Ulinow diesen Trick verraten – aus Gründen, denen Ulinow nie ganz traute. Aus Freundschaft, ja. Und weil er eine Beschäftigung brauchte. Aber Ulinow wusste auch, dass Gus während seines zwölfmonatigen Aufenthalts im Orbit vom ersten Tag an mit dem amerikanischen Geheimdienst zusammengearbeitet hatte ... sicher auf Befehl seines eigenen Volkes ...
Welches Spiel trieben die Italiener?
Die Situation in den Alpen war nicht viel besser als im Nahen Osten. Es gab eine Vielzahl von Fronten, ein schwer durchschaubares Gewirr von Allianzen und Invasionen, in dem Italien ein paar winzige Landfetzen gegen die Franzosen, Deutschen, Briten, Iren, Holländer, Polen, Griechen, Tschechen, Belgier, Schweden und Slowaken verteidigte. Ulinow musste sich auf Gustavos Abneigung verlassen. Die ganze Welt hegte den Wunsch, Amerika ein wenig zurechtzustutzen und damit die eigenen Chancen zu verbessern, wenn es darum ging, Hilfe zu erbitten oder zu kaufen. Aber Ulinow war sich auch darüber im Klaren, dass Gus sich einen Vorteil verschaffen konnte, wenn er ihn enttarnte. Die Angehörigen des italienischen Militär-Geheimdienstes SISMI hatten mit Sicherheit versucht, sämtliche Botschaften Ulinows zu kopieren. Und wenn ihnen das gelungen war, dann hatten sie mittlerweile auch die einfache Verschlüsselung geknackt.
Die Verbindung über Gus war nie mehr als eine kurzlebige Gelegenheit gewesen, Krisenpläne auf den neuesten Stand zu bringen und zu bestätigen. Gustavo würde ihn verraten. Vielleicht war das auch bereits geschehen. Die russische Führung musste das wissen, und doch hatte sie in den vergangenen vierundzwanzig Stunden zweimal auf ihre chinesischen Gesandten angespielt. Sie hatte Ulinow außerdem angewiesen, die Nano-Waffe zu verlangen und den Amerikanern auf diese Weise klarzumachen, dass er sie hinterging.
Er war ein Werkzeug, das man geopfert hatte, aber zu welchem Zweck? Warum wollten ihn seine Landsleute in Schwierigkeiten bringen, und welches Verhalten erwarteten sie von ihm? Sollte er versuchen, das Problem auf ein Mindestmaß herunterzuspielen? Oder es aufzublähen?
»Ich bin drin!«, verkündete Gus und winkte ihn näher.
Zögernd nahm Ulinow die Hand von der Pistole, die in seiner schweren Jacke steckte. Seine bloßen Finger erstarrten in der kalten Brise, als er Gustavos Handy entgegennahm. Er hatte sich noch nie so verwundbar gefühlt.
»Danke«, sagte er.
Gus nickte mit einem Grinsen und entfernte sich einige Schritte, um Ulinow einen Hauch von Privatsphäre zu gönnen. Ulinow zwang sich, seinem Freund nicht nachzustarren. Seinem Feind. Es war nicht so, dass er mit einem Sturmangriff auf das Zimmer hinter ihnen rechnete, wie in diesen lauten amerikanischen Fernsehdramen. Noch nicht jedenfalls. Sie würden warten, bis er über seine eigenen Füße stolperte.
Ulinows Finger hämmerte geübt auf das winzige Tastenfeld des Handys ein, das er zusammen mit seinem PDA in der Linken hielt, während er mit der Rechten die Trojaner-Codes in die Datenbank einschleuste, mit der Gus ihn verbunden hatte. Er brauchte den PDA als Gedächtnisstütze für seine Passwörter sowie zum Chiffrieren und Dechiffrieren seiner Botschaften, obwohl er lediglich die Buchstaben des kyrillischen Alphabets durch Zahlen ersetzte – eine primitive Verschlüsselung, deren einziger Zweck darin bestand, die Amerikaner ein paar Tage lang zu beschäftigen.
Er benutzte Abkürzungen, etwa drei Begriffe nacheinander ohne einen Großteil der Vokale, und dann wieder ein voll ausgeschriebenes Wort. Er rückte die Ziffern so zusammen, dass 25 ebenso gut 2 und 5 heißen konnte. Er begann willkürlich ab irgendeinem Buchstaben zu zählen, nahm beispielsweise die 1 für R – aber nur für Botschaften, die er sonntags sendete, während er die Zahlen an den übrigen Tagen einen Buchstaben nach vorne oder nach hinten verschob.
Ulinow besaß Geschick im Umgang mit Codes, aber auch für ihn ergaben hundert dicht zusammengedrängte Ziffern nicht auf Anhieb einen Sinn. Das Verfassen seiner Berichte war kaum einfacher. Es galt, die Vokale nach dem Zufallsprinzip zu löschen und dann hundert Buchstaben in Zahlen umzuwandeln. Deshalb musste er seine Botschaften aufsetzen und vom PDA ablesen, wenn er sie in das Handy eingab. Umgekehrt übertrug er einen empfangenen Text so rasch wie möglich in seinen PDA und entschlüsselte ihn erst später.
Noch vor seiner Rückkehr von der Unterredung mit Kendricks waren die Amerikaner in
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