Plasma
Monat, und die Impf-Nanos hätten im Umkreis von hundert Meilen Tausende von Menschenleben gerettet. Die Invasion hatte alles kaputt gemacht. Letzten Endes brachte sie vielleicht mehr Amerikanern den Tod als die Bombe von Leadville. Ruth hatte recht. Sobald der neue Feind genug eigene Leute geimpft und damit immun gegen die Seuche gemacht hatte, konnte er sie per Flugzeug zurück nach China oder Russland schicken, um die verlassenen Raketenstützpunkte neu zu besetzen.
Wie lange würde das dauern? Stunden, um die Meere zu überqueren, Stunden, um die Technik in den Bunkern hochzufahren und die Interkontinentalraketen neu auszurichten. Die Maschinen hätten Kalifornien bereits am Vortag verlassen können – aber möglicherweise hatten sich die Rebellen in den USA mit Material aus dem umfassenden amerikanischen Arsenal eingedeckt und verfügten über eigene Raketen. Vielleicht hatte es Atomschläge in Asien oder Europa gegeben, von denen der Feind so geschwächt war, dass er Nordamerika kein zweites Mal angreifen konnte. Vielleicht hatten die USA auch bereits den Himalaya oder die Gebirgszüge in Afghanistan bombardiert. Die Invasionsflotte konnte das letzte Aufgebot des Gegners sein – und auf Dauer längst nicht so schlagkräftig, wie es im Augenblick den Anschein hatte.
Es war ein kalter, aber irgendwie tröstlicher Gedanke. Und Trost brauchte Cam, denn sie waren in einen Nano-Herd geraten. Sein Ohr brannte wie Feuer, und eine zweite Infektion breitete sich in den Fingern aus.
Ruth hatte es ebenfalls erwischt. Sie torkelte seitlich wie ein Krebs und versuchte ihren linken Fuß zu entlasten, neigte jedoch den Oberkörper genau in diese Richtung und schlug mit der Armmanschette gegen ihre Rippen, als könnte sie damit den Schmerz betäuben. Cam machte sich Vorwürfe. Er hatte sie schonen wollen und war in einem flacheren, weniger anstrengenden Teil des Tals geblieben, ohne auf die sonnengebleichten Plastikfetzen zu achten, die wie Konfetti in den Bäumen hingen. Die Druckwelle musste hier Wirbel gebildet und Müll sowie eine höhere Konzentration an Pest-Nanos abgelagert haben. Und sie befanden sich in einer Höhe von 6500 Fuß – weit unterhalb der Todesgrenze. In dieser Zone gediehen vor allem Ponderosa- und Zuckerkiefern mit dichtem, stark verfilztem Unterholz.
»Tut mir leid«, sagte Cam und spähte durch die langen Schatten. Er suchte nach Abfall in den Zweigen, der einen Anhaltspunkt auf die Maschinenpest hätte geben können, aber seine Maske sog sich mit Schweiß voll, und seine Schutzbrille lief an, als er benommen vor Erschöpfung schneller zu gehen versuchte.
Er führte sie mitten in eine Ameisenkolonie.
Es gab Dutzende pulvriger brauner Kegel auf dem Boden, flache Staubkreise, die an Brotlaibe erinnerten. Bergameisen? Sie hatten bereits einen Großteil des Unterholzes vernichtet und viele der Kiefernstämme angegriffen. Instinktiv wählte Cam den Weg, der von Hindernissen frei war, während seine Blicke die Äste weiter oben absuchten.
Die Insekten wuselten über ihre Füße und Schienbeine, bevor sie überhaupt merkten, wohin sie geraten waren. Dann schrie Newcombe laut auf, als die Ameisen in seinem Hosenbein hochkletterten und ihre Säure verspritzten. » Yaaaa!«
Newcombe blieb stehen und schlug auf die Angreifer ein. Ruth stürzte. Cam zerrte an ihrer Jacke, konnte sie aber nicht abfangen, ehe sie den Boden berührte. Die Insekten bildeten einen lebenden, glänzend roten Teppich. Sie fielen von allen Seiten über sie her.
»O Gott, o Gott …«, schrie sie.
Die Ameisen waren im Nu in Cams Ärmeln, in seinem Kragen, unter seinem Hosenbund. Er zerrte Ruth von dem Gewimmel hoch und versuchte mit einer Hand, ihre Kleidung auszuklopfen. Vergeblich. Die winzigen Körper krabbelten über sie hinweg. Eine brodelnde Masse drang aus allen Richtungen auf sie ein – vom Boden und aus den Bäumen.
Newcombe umklammerte Ruth von hinten, und Cam schob die beiden weg. »Lauft!«, rief er. Er schwang sein Marschgepäck wie eine Keule gegen Ruth, um möglichst viele Ameisen gleichzeitig zu zerquetschen.
Endlich kam er an das Benzin in der Außentasche des Rucksacks heran. Er goss das Zeug mit ungeschickten Bewegungen in einem engen Halbkreis vor ihnen aus, da er nur eine Hand frei hatte. Mit der anderen schwenkte er den Rucksack. Die Ameisensäure brannte auf Wangen, Hals und Handgelenken. Sie befanden sich am Rand der Kolonie, und doch waren es noch etwa fünf Meter zwischen ihnen und dem freien
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