Plasma
schnell vom Fleck kamen. Die Lektion, die sie gelernt hatten, lautete, dass man den Schwachen, Hungrigen und Verletzten grundsätzlich weniger trauen konnte als den Starken. Das galt auch für sie selbst.
Sie bedauerte jetzt sehr, dass ihr Trio nicht einige der Pfadfinder bei sich behalten hatte. Sie brauchte Hilfe. Die Jungs hätten ihre Ausrüstung tragen und sie stützen können.
»Was ist mit dem Flugzeug?«, fragte sie.
»Sie halten direkt darauf zu, und wir können nicht warten«, entgegnete Newcombe. »Wenn wir Pech haben, bleiben sie den ganzen Tag dort. Und das Wrack zieht vielleicht sogar noch andere Gruppen an. Ein schlechter Rastplatz, den wir uns da ausgesucht hatten.«
Sie entfernten sich im Schutz der Bäume und mieden die Lichtungen. Als Ruth noch einmal über die Schulter schaute, empfand sie das gleiche Bedauern wie in dem Augenblick, da sie sich von Gaskells Leuten getrennt hatten. Doch dann durchdrang eine blitzartige Erkenntnis ihre Erschöpfung. Sie hatte längst im Hintergrund gelauert und war der eigentliche Grund für ihre Zweifel.
Wenn der Impf-Nano bereits so weit verbreitet ist, besitzen ihn die Invasoren wohl ebenfalls.
Schüsse peitschten durch das Tal, zwei oder drei Jagdflinten und dann das härtere Knattern von Maschinengewehren. Cam und Ruth warfen sich sofort wieder zu Boden. Newcombe rollte sich dicht neben ihnen in den Schutz einer Hecke. Sie hatten noch keine Meile seit ihrer Begegnung mit der anderen Gruppe zurückgelegt.
»Das sind Kalaschnikows«, erklärte Newcombe. »AK-47. Werden von Russen und Chinesen benutzt. Manchmal auch von Arabern. Das passt zu den MiGs. Ich glaube, es ist eine dieser Maschinen.«
Mittlerweile kamen und gingen die Echos, pop, pop, die leichteren Jagdflinten, vermischt mit dem dumpfen kng kng kng kng der gegnerischen Gewehre, eine kleine Privatfehde im Rahmen des großen Krieges. Ruth glaubte, dass sich der Kampf auf einem Gipfel im Norden hinter ihnen abspielte, aber sie war nicht sicher, ob der Lärm von oberhalb der Barriere kam. Wieder hatten sie die Welt verändert. Die Quarantäne in den Pestgebieten ging zu Ende. Zum ersten Mal seit sechzehn Monaten erfüllten die Stimmen von Männern und Frauen die Stille – von Menschen, die sich gegenseitig umbrachten. Ruth fühlte sich elend.
»Ihrer Ansicht nach sind viele der Flugzeuge russischer Herkunft«, sagte Cam.
»Yeah, aber die Russen verhökern ihre Rüstungstechnologie seit sechzig Jahren nach Asien und in den Nahen Osten. Die Invasoren könnten also auch aus China kommen.«
Sie wussten es, dachte Ruth, aber sie wollte es nicht glauben und formulierte die Worte in eine Frage um. »Mal angenommen, sie wussten es?«
»Was?« Cam, der gerade wieder die Schnürsenkel festzog, schaute von seinen Stiefeln auf.
»Warum hätten sie in Kalifornien landen sollen, wenn sie nichts von dem Impfstoff wussten?« Es war einfach zu plausibel. »Warum flogen sie nicht irgendeine andere Gegend an, die sie mehr oder weniger kampflos erobern konnten?«
»Im Grunde haben sie es hier auch einfach«, sagte Newcombe mit einem seltsamen Glanz in den Augen. Stolz. »Wer kann sich ihnen denn schon in den Weg stellen?«, fragte er. »Ein paar hitzköpfige Typen mit Jagdflinten? An allen anderen Orten oberhalb der Todesgrenze wimmelt es von Militär.«
»Aber wir sind hier höchstens zwei Stunden vom wichtigsten Luftflotten-Stützpunkt der Amerikaner entfernt«, wandte Ruth ein.
»Sie meinen Leadville? Die dort stationierten Kampfflugzeuge sind doch vernichtet. Und erwarten Sie nicht zu viel von den Rebellen oder den Kanadiern. Der ganze Kontinent ist nach dem EMP wie gelähmt und wird es wohl auch noch ein paar Tage bleiben. Die Strategie war perfekt. Sie haben uns empfindlich getroffen, setzten dann sofort nach und versuchen jetzt Fuß zu fassen.«
Ruth schüttelte den Kopf. »Es gab eine Menge Funkverkehr, bevor wir nach Sacramento flogen, und wahrscheinlich noch weit mehr, nachdem wir uns abgesetzt hatten. Sie könnten einen Teil der Gespräche abgehört haben. Sie könnten durch Sympathisanten oder Spione von den Ereignissen erfahren haben. Vielleicht verfolgten sie das Geschehen auch über ihre eigenen Satelliten mit.«
Außerdem suchen sie mich, erkannte sie. Sie haben sich an meine Fersen geheftet.
Deshalb hatten sie auf so vielen Berggipfeln präventiv alle Bewohner getötet – nicht nur, um sich selbst beim Sturm auf die Barriere ein paar Gefallene zu ersparen, sondern auch, um leichter an die
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