Plastikfreie Zone
Moment möchte ich Werner am liebsten umarmen, und der recht aufwendige Arbeitseinsatz des heutigen Tages, den ich bisher eher als aktionistische Einlage betrachtet habe, bekommt plötzlich einen tieferen Sinn.
Jetzt aber ist erst einmal erneut Zupacken gefragt, denn die Zeit drängt, weil die Fotos und der Trailer noch bei gutem Tageslicht aufgenommen werden müssen. Um die Wirkung zu erhöhen, hänge ich mit Ute, einer der Helferinnen, schnell unsere Isomatten vor dem Eingangsbereich auf. Dazu verwenden wir Kluppen – Wäscheklammern –, die teilweise aus Holz, teilweise aus Plastik sind. Genau passend zum Motto des Tages und zur Ausstattung unseres Hauses.
Ute, die es ziemlich genau nimmt und mit Argusaugen jedes winzige Plastikteilchen entdeckt, macht mich gleich darauf aufmerksam, dass ich die Plastikklammern eigentlich sofort entsorgen könnte, zumal einige beim Versuch, die dicken Matten damit zu befestigen, auseinanderbrechen. Die aus Plastik wohlgemerkt. Trotzdem: Ich werde zwar keine aus Plastik mehr dazukaufen, die anderen jedoch verwenden, bis sie kaputt sind. So haben wir das besprochen, und »müssen« will ich sowieso nicht. Nein, ich behalte es mir vor, mit Peter und den Kindern frei zu entscheiden, was wir behalten und was wir ersetzen wollen und zu welchem Zeitpunkt.
Dennoch male ich mir für einen Moment aus, wie mir ein Wissenschaftler genau vorrechnet, wie viel Schadstoffe aus solchen kleinen Klammern entweichen können, wie sie in meine Atemwege dringen, obwohl ich die Wäsche meist im Freien aufhänge. Ich stelle mir vor, wie er in diversen Studien blättert, um mir die theoretische Verkürzung meiner Lebenszeit vorzurechnen, um plötzlich in schallendes Gelächter auszubrechen, weil es sich lediglich um eine Reduzierung im Millionstelsekundenbereich handelt.
Nein, wir wollen uns nicht lächerlich machen. So hilfreich Studien sein können, gehören sie doch auch zu den beliebtesten Mitteln, Panik zu erzeugen und Leute zu veranlassen, sich gegen ihren gesunden Menschenverstand zu verhalten. Also Schluss mit unnötiger Hysterie und Spitzfindigkeiten.
Das letzte Accessoire, das für unser Foto installiert wird, ist die blaue Plastikküchenuhr. Werner Boote lässt sie direkt an der Stirnseite unseres Vordachgiebels befestigen und stellt die Uhr eigenhändig auf fünf vor zwölf, eine symbolträchtige Uhrzeit, die schon in meiner Kindheit darauf aufmerksam machen sollte, dass in vielen Fragen des Umweltschutzes dringendster Handlungsbedarf besteht. Das hat sich seither nicht verändert.
Als wir uns für das Foto aufstellen und unsere Positionen einnehmen, sind vier Stunden vergangen. Wir tragen Regenjacken aus Kunststoff, Marlene spannt zusätzlich einen gelben Regenschirm auf und legt sich meinen Motorradhelm in den Schoß. Samuel hält seinen Globus in den Händen, Leonard seine Hot-Wheels-Autobahn, Peter eine Hello-Kitty-Figur, und ich selbst suche mir einen blauen Mixstab aus, dazu besagte Tortentransportform, die zwischenzeitlich zum Zankapfel zwischen mir und Peter geworden ist.
Während wir inmitten unseres Plastikbergs sitzen, habe ich erstmals an diesem Tag Zeit, mich ein bisschen in Ruhe umzusehen. Die meisten Dinge, die sich rund um uns herum auftürmen, sind letztlich verzichtbar oder durch plastikfreie Alternativen zu ersetzen. Ob sofort oder später ist eine andere Frage.
Nicht zur Diskussion stehen neben Haushalts- und Elektronikgeräten vor allem Dinge wie Fahrradhelme, diverse Sportschuhe und Kleidungsstücke wie Anoraks und Regenjacken. Ebenso wenig Fahrräder und Skiausrüstung, die gleichfalls jede Menge Kunststoffteile aufweisen. Hier gibt es keine Alternativen, zumindest keine vernünftigen, die einem einigermaßen normalen Leben innerhalb unserer westlichen Zivilisation gerecht werden. Und auf all diese Dinge gänzlich zu verzichten, wäre nur noch ein Experiment für Einsiedler, Asketen oder Sektierer, was wir von Anfang an unter keinen Umständen wollten. Überdies macht Skifahren zumindest unseren Kindern so großen Spaß, dass es nicht verzichtbar wäre, und ähnlich verhält es sich mit anderen Lieblingssportarten unserer Familie wie Fußball, Radfahren und Joggen, bei denen man ebenfalls nicht ohne Kunststoff auskommt. Wie gut, dass Werner uns in dieser Hinsicht beruhigt und uns erklärt hat, es mache eh keinen Sinn, sich radikal zu gebärden. Mir fällt wieder mein erstes Schreckensbild ein: Peter, wie er alle Steckdosen, Lichtschalter und Wasserleitungen aus
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