Platinblondes Dynamit
erst einen Hit.‘ Und wenn du das weißt, dann denk mal drüber nach, wann er seinen letzten Hit hatte.“
Windell kam nicht drauf. Der einzige Titel, der ihm überhaupt einfallen wollte, war eine Falsettnummer mit ‚Brother Louielouielouie‘ im Refrain, und wann um alles in der Welt war das gewesen?
„Aber wenn das stimmt, dann … Wie erklären Sie dann, dass die Mädels immer so, na ja, zufrieden wirken?“
Kilius/Bäumler rückte ganz nahe heran. „Weil sie es sind “, flüsterte er. „Wie immer SIE …“, Geste, „das auch anstellt. Und mehr“, flüsterte er weiter, „mehr willst du zu diesem Thema nicht wissen.“
„Ja, aber …“
„Du glaubst immer noch, das bisschen Kack-Popularität sei jedes Opfer wert, du glaubst immer noch, Ruhm würde alle deine Probleme lösen, oder? Ganz egal, was ich dir erzähle?“
Windell kratzte sich den Kopf. Lebenslange Überzeugungen wirft man nicht einfach über Bord, nur weil ein alter Spinner, der am helllichten Tag mit einer Sexpuppe herumtanzt, einen dazu auffordert.
„Nimm diesen, tja, Sänger . Österreicher, Vorname Diedschej. Ich war dabei, ich war Zeuge, als er sich in einem Akt der Verzweiflung seinen bescheuerten weißen Schädelpräser von der Kopfhaut schälen wollte. Mit einem Skalpell, denn anders ging’s nicht. Er hat geblutet wie ein Schwein, aber gleichzeitig geweint vor Glück. Hier,hier an dieser Schulter, an die sich jetzt Marika schmiegt, hat er gelehnt und ‚Frei! Endlich frei!‘ geschluchzt. Doch – was soll ich sagen? Schon am nächsten Morgen war die verfluchte Mütze nachgewachsen und noch am selben Abend stand er wieder auf der Bühne, in einem Festzelt voller Kräuterlikör-Alkis in Wallau-Massenheim und gab den Anton aus Tirol. Es war … es war herzzerreißend.“
Windell zuckte nur die Achseln. Sein Mitgefühl mit musizierenden Nervensägen hielt sich in Grenzen.
„Es ist das Pensum, verstehst du. Das Arbeitspensum. Es ist mörderisch.Auch wenn es mich zum erfolgreichsten deutschsprachigen Drehbuchautor aller Zeiten gemacht hat. Unter hundertfünfzig Pseudonymen, chronisch abgebrannt, ständig übermüdet, aber immerhin.“
„Haben Sie ihn eigentlich bekommen, den Drehbuch-Oscar?“
„Ach, der Oscar!“ Kilius/Bäumler lachte bitter. „Der Oscar, das war nur der Köder. Nein“, antwortete er und seufzte, „nie. Aber berühmt wurde ich. Oh ja. Den Teil der Abmachung hält …“, wieder die Geste mit den hornartig nach unten zeigenden Fingern, „SIE immer ein. Kost ja auch nix.“ Er kickte sich wütend von Wand zu Wand, wie eine Billardkugel von Bande zu Bande. „Das Bimmeln!“, schrie er. „Stell doch endlich mal einer das Bimmeln ab!“ Mühsam beruhigte er sich wieder.
„Ich wurde zu dem, was die Älteren unter den Regisseuren einen ‚Hansdampf in allen Gassen‘ nennen. Mein Gott, was habe ich diesen Ausdruck gehasst. Denn das bedeutete nichts anderes, als dass sie mir mit jedem Scheiß daherkommen konnten: Kreuzfahrtschiff, Mittelgebirgsklinik, Seeuferhotel, Hochgebirgsalm. Von den salzigen Weiden Schottlands über die blühenden Hügelder Toskana bis in die Steppen Südafrikas und von da in den Schatten des Taj Mahal, es gab nichts, mit dem sie mich nicht betrauen konnten. Und alles Quotenrenner, dafür wurde schon gesorgt, oh ja. Doch willst du wissen, was das Schlimmste war? Die Krimiserien? ‚Wo waren Sie/Wo befanden Sie sich/Wo haben Sie sich zur Tatzeit aufgehalten?‘ Halb so wild. Schreibt sich im Schlaf, so was. Oder die Weißkittelserien? ‚Wir vermuten/Wir befürchten/Wir müssen davon ausgehen, dass es sich um einen Tumor handelt.‘? Auch nicht. Daily Soap? ‚Es tut mir leid/Es tut mir leid/Es tut mir leid.‘ Nein, das Schlimmste, das wahre Grauen, das waren die Romanverfilmungen. Meist für die ARD und, oh Mann, für das ZDF. All die Titel mit Edelweiß, mit Palmen, Rosen, Herzen, Sturm, Glück, Leidenschaft und, natürlich, Liebe. Nora, Rebecca, Inga, Utta und, selbstverständlich, Rosamunde. Immer wieder Rosamunde.“
„Haben Sie die etwa alle gelesen?“
„ Was? Bist du bescheuert? Wann denn? Hast du eine Ahnung, wie viele Drehbücher ich pro Jahr abliefern musste, nur um genug zu essen zu haben? Ich habe sie adaptiert . Dafür genügen die Klappentexte. Genügen vollkommen. ‚Junge Frau, unglücklich gebunden, reist nach … und verliebt sich dort in …‘ Der Rest ist Lokalkolorit, ein Minimum an Handlung und viel ergreifender Dialog. Und der Dialog ist letzten Endes
Weitere Kostenlose Bücher