Platon in Bagdad
Wissen über die Natur.
Bedas Werke standen in einer Tradition, die sich in angelsächsischen und irischen Klöstern schon frühzeitig etabliert hatte: dem Studium der Naturwissenschaften neben der Theologie einen Ehrenplatz einzuräumen, so wie an den schon im 6. Jahrhundert in Clonard, Bangor und Iona gegründeten Schulen. Unterstützt wurde diese Tradition durch zwei griechischsprachige Mönche – Theodor von Tarsus und Adrianus Africanus –, die Papst Vitalian (reg. 657 – 668) nach Britannien entsandt hatte und die so im nördlichen Europa das Studium der griechischen Sprache und Kultur einführten.
Diese kulturelle Erneuerung hatte zur Folge, dass auf der Britischen Insel und dem europäischen Festland Domschulen gegründet wurden. Alkuin (735 – 804) spielte eine besonders wichtige Rolle bei dieser Erneuerungsbewegung, und seine Berufung von der Domschule in York an den Hof Karls des Großen markiert den Beginn der karolingischen Renaissance.
Inzwischen hatte sich das Zentrum des Römischen Reiches nach Osten verlagert. Offiziell wurde diese Verschiebung im Jahr 330, als Konstantin der Große seine Hauptstadt von Italien in die griechische Stadt Byzanz am Bosporus verlegte, in das »neue Rom«, das bald danach Konstantinopel genannt wurde. Kurz vor seinem Tod sieben Jahre später wurde Konstantin getauft, ein erster Schritt zur Etablierung des Christentums als Staatsreligion des Reiches, doch dieser Prozess war erst in der zweiten Hälfte des 5. Jahrhunderts weitgehend abgeschlossen.
Die Herrschaft über das Reich war damals zeitweise unter den Kaisern der westlichen und der östlichen Hälfte aufgeteilt, und das Oströmische Reich wurde von Konstantinopel aus regiert. Im westlichen Teil des Reiches war besonders das dritte Viertel des 5. Jahrhunderts eine Zeit des Chaos, in der sich zehn Männer alsKaiser abwechselten; der letzte von ihnen, Romulus Augustulus, wurde 476 gestürzt. Bis dahin hatte das Römische Reich weite Teile Westeuropas an germanische Invasoren verloren, so blieb nur der Kaiser in Konstantinopel als Herrscher übrig.
Konstantin der Große hatte in Konstantinopel eine Universität gegründet, die 425 unter Theodosios II. neu organisiert wurde. Die neue Universität, das wichtigste geistige Zentrum im Reich, hatte anfangs 20 Lehrstühle für Grammatik, zu gleichen Teilen unter Griechisch und Latein aufgeteilt, acht Lehrstühle für Rhetorik, davon fünf in Griechisch und drei in Latein, sowie zwei Professuren in Jura und eine in Philosophie. Ab dem darauf folgenden Jahrhundert wurde Latein in Konstantinopel nicht mehr gesprochen und die gesamte Lehre an der Universität war griechischsprachig. Dies war Teil der großen kulturellen Spaltung, die sich im frühen Mittelalter zwischen dem lateinisch geprägten Abendland und dem griechischen Orient herausbildete, eine Zweiteilung, die alle neu entstehenden Kulturen Westeuropas von der byzantinischen Welt des Balkans und Kleinasiens trennte.
Konstantin hatte das erste ökumenische Konzil der Kirche einberufen, das 325 in Nikaia abgehalten wurde. Das zweite ökumenische Konzil fand 381 in Konstantinopel statt, das dritte 431 in Ephesos und das vierte 451 in Chalkedon, einem Vorort Konstantinopels auf der asiatischen Seite. Hauptthema bei all diesen Synoden waren Fragen des Dogmas, besonders das Wesen Christi betreffend. Das Konzil von Chalkedon formulierte die spätere orthodoxe Christologie: dass Jesus Christus Mensch und Gott zugleich und seine beiden Naturen ungeteilt und ungetrennt seien. Zugleich wurden alle als Häretiker verurteilt, die anders dachten, etwa die Monophysiten, die glaubten, Christus habe eine einzige Natur, oder die Nestorianer, die glaubten, er habe eine duale Natur. Monophysiten wie Nestorianer, deren Gläubige hauptsächlich im südöstlichen Kleinasien, Syrien, Mesopotamien, Persien und Ägypten lebten, gründeten daraufhin eigenständige Kirchen.
Die Nestorianer hatten schon im nördlichen Mesopotamien, in Edessa (dem türkischen Urfa) und Nisibis, bedeutende Schulen gegründet, mit dem Syrischen, einer vom Aramäischen abgeleiteten semitischen Sprache, als Unterrichtssprache. An diesen Schulen wurden auch ins Syrische übersetzte griechische Abhandlungen als Lehrwerke verwendet, vor allem die Werke des Aristoteles zur Logik. Die Schule in Edessa wurde 489 von Kaiser Zenon geschlossen, und die nestorianischen Gelehrten zogen in das weiter östlich gelegene Nisibis, das damals zu Persien gehörte.
Auf ihrem Weg
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