Platon in Bagdad
Philosophie und der Naturwissenschaften beruhte auf den entsprechenden Werken des Aristoteles und den Kommentaren dazu, die zunächst aus dem Arabischen und später aus dem Griechischen ins Lateinische übersetzt wurden.
Aristoteles’ Werke bildeten zwar die Grundlage für die meisten nichtmedizinischen Studiengänge an den neuen Universitäten, aber einige seiner naturphilosophischen Ideen, insbesondere in der Interpretation der Kommentare des Averroës (Ibn Ruschd), stießen bei den Theologen auf heftige Ablehnung. Ein Kritikpunkt war die Auffassung des Aristoteles, dass das Universum ewig sei, wodurch die Schöpfung durch Gott verneint wird; ein weiterer war der Determinismus seines Prinzips von Ursache und Wirkung, das keinen Raum für das Eingreifen Gottes oder andere Wunder gestattete. Ein weiterer Einwand lautete, Aristoteles’ Naturphilosophie sei pantheistisch, setze also Gott mit der Natur gleich, was aus der neuplatonischen Interpretation des Aristotelismus von Avicenna (Ibn Sina) abgeleitet war.
Dies führte 1210 zu einem Erlass eines bischöflichen Konzils zu Paris, der die Lehre der Naturphilosophie des Aristoteles an der Artistenfakultät der Universität verbot. Das Verbot wurde 1231 von Papst Gregor IX. bestätigt, der verfügte, dass Aristoteles’ Werke zur Naturphilosophie an der Pariser Universität nicht gelesen werden sollten, »bis sie geprüft und von Irrthümern gereinigt seien«. Offenbar war es nicht einmal 25 Jahre lang wirksam, denn eine Lektüreliste der Pariser Universität von 1255 führt sämtliche Werke des Aristoteles auf, soweit sie erhältlich waren.
Der Streit entbrannte erneut, als der Bischof von Paris, Étienne Tempier, 13 Thesen verbot, die aus der Philosophie des Aristoteles oder von aristotelischen Kommentaren des Averroës abgeleitet waren. Es galt die Lehre der »doppelten Wahrheit«, d. h., eine These konnte auf Grund von Beweisen in Physik und Metaphysik für wahr erklärt werden, während unabhängig davon ein gegensätzlicherBegriff in der Theologie und in der Religionslehre für wahr gehalten werden konnte. Papst Johannes XXI., der den Rat von Theologen eingeholt hatte, ließ im Jahr 1277 219 Thesen indizieren, einschließlich der 13 ursprünglich von Étienne Tempier aufgeführten, und drohte jedem mit Exkommunikation, der auch nur einen einzigen irrigen Lehrsatz vertrat. Tempier erließ im selben Jahr ein ähnliches Verbot sowie auch der Erzbischof von Canterbury, Robert Kilwardby, dessen Edikt 1284 von seinem Nachfolger John Pecham bestätigt wurde. Daraufhin wurden mehrere Thesen für irrig erklärt, weil ihr Determinismus die Macht Gottes einschränke.
Indessen verarbeiteten die europäischen Gelehrten das erworbene griechisch-arabische Wissen, aus dem sie ihre neue Naturphilosophie entwickelt hatten. Diese beruhte zwar weitgehend auf der Lehre des Aristoteles, wich aber auch von Beginn an davon ab.
Robert Grosseteste (um 1168 – 1253) leistete Entscheidendes für die Entwicklung der neuen europäischen Naturphilosophie. Aus ärmlichen Verhältnissen in Suffolk stammend, erhielt er seine Ausbildung an der Kathedralschule von Lincoln und dann an der Universität Oxford, wo er auch lehrte. Schließlich erwarb er einen Magisterabschluss in Theologie, vermutlich an der Pariser Universität. Er wurde zum Kanzler der Universität Oxford ernannt, wo er wohl auch theologische Vorlesungen hielt, und begann, Griechisch zu lernen. Als 1224 die ersten Franziskanermönche nach Oxford kamen, wurde Grosseteste ihr Lesemeister. 1235 verließ er die Universität schließlich, als er zum Bischof von Lincoln ernannt wurde; Oxford mit seinen Instituten gehörte zu seiner Diözese.
Seine Werke kann man nach zwei Lebensstationen unterteilen: der ersten als Kanzler in Oxford und der zweiten als Bischof von Lincoln. Zu seinen Schriften in der ersten Phase gehören die Kommentare zu Aristoteles und zur Bibel und die meisten eigenständigen Abhandlungen, während er in der zweiten Phase hauptsächlich Übersetzungen aus dem Griechischen erstellte:
Nikomachische Ethik
und
Über den Himmel
von Aristoteles, letztere mit seiner Fassungeines Kommentars von Simplikios; außerdem mehrere theologische Werke.
Grossetestes Kommentare zu Aristoteles’
Zweiter Analytik
und
Physik
gehörten zu den ersten und einflussreichsten Interpretationen dieser Werke, und sie legten seine Theorie der Wissenschaft dar, die er in zahlreichen eigenen Schriften in die Praxis umsetzte. Er schrieb sechs
Weitere Kostenlose Bücher