Platon in Bagdad
der Toten, um sie zu Voraussagen für die Zukunft zu befragen oder um den Lauf künftiger Ereignisse zu beeinflussen, wie auch die Nigromantie, die schwarze Magie, die sich mit okkulten Praktiken befasst, die in der Nacht und nicht am Tage ausgeführt werden.
Michael verurteilte die Nekromantie und die schwarze Magie, aber mit großem Vergnügen erzählte er Geschichten von Nigromantikern und Magiern. Danach war ein Hofbeamter namens Gilbertus, vermutlich Gerbert d’Aurillac, der beste Nigromantiker in Frankreich, der, wie er behauptete, Dämonen beschwor, die ihm die Verwendung des Astrolabs und die Grundlagen der Astronomie erklärten, woraufhin er bekehrt und schließlich Bischof von Ravenna und am Ende sogar Papst wurde.
Friedrich richtete eine lange Liste von außergewöhnlichen Fragen an Michael, der diesen Fragebogen einem
Liber particularis
hinzufügte. Das kaiserliche Interesse an der Nekromantie zeigt sich in folgender Frage: »Und wie kommt es, daß die Seele eines lebendigen Menschen, wenn sie in ein anderes Leben als das unsrige übergeht, weder durch die erste Liebe noch durch den Haß zur Rückkehr gezwungen werden kann, als sei nichts gewesen, als ob sie sich um das, was sie zurückgelassen hat, nicht kümmert?« Michael brüstete sich damit, dass er alle Fragen des Kaisers beantworten könne, einschließlich der Frage, »ob eine Seele im Jenseits eine anderekennt und ob man zu diesem Leben zurückkehren kann, um zu sprechen oder sich zu zeigen, und wie viele Höllenqualen es gibt«.
All dies trug Michael postum den Ruhm eines Magiers ein und trübte seinen Ruf als Wissenschaftler und Übersetzer, der durchaus umstritten ist. Roger Bacon nannte Michael »einen bemerkenswerten Erkunder der Materie, der Bewegung und des Verlaufs der Konstellationen«, doch zugleich bezeichnete er ihn als einen jener Übersetzer, die »weder von Wissenschaft noch von Sprachen eine Ahnung hatten, nicht einmal Latein«, und behauptete, seine Übersetzungen seien größtenteils von einem Juden namens Andreas ausgeführt worden. Bacon schreibt Michael die Einführung der Naturphilosophie des Aristoteles im lateinischen Abendland zu, obwohl dieser eigentlich nur
De animalibus
übertragen hatte.
Wie über Gerbert d’Aurillac hieß es auch über Michael, er habe für das Wissen um die schwarze Magie und die Magie der Wissenschaften seine Seele an den Teufel verkauft. Dante beschreibt ihn im 20. Gesang des
Inferno
, wo er sich im vierten Graben im achten Kreis der Hölle unter den anderen Wahrsagern befindet:
Der andere, so hagere Geselle
War Michael Scotus, der es nicht verschmäht’,
Zu treiben einst das Gaukelspiel der Hölle.
Michaels Ruf als Magier der schwarzen Künste hielt sich bis in moderne Zeiten, vor allem in Schottland, wo man seine Befähigung zur schwarzen Magie in einem Knüttelvers besingt:
Ein Zaubrer, gefürchtet weit und breit.
Wenn seinen Zauberstab er schwang
Zu Salamanca, so erklang
Der fernen Notre Dame Geläut.
PARIS UND OXFORD I:
ARISTOTELES WIRD NEU GELESEN
B eflügelt durch die Fülle lateinischer Übersetzungen griechischarabischer Werke befand sich die europäische Wissenschaft Anfang des 13. Jahrhunderts im Aufschwung. Diese Übersetzungen wurden an den neuen Universitäten verwendet, die in ganz Europa aus dem Boden schossen und die Domschulen des frühen Mittelalters ersetzten.
Die Universität Bologna, im Jahr 1088 gegründet, war die erste, gefolgt von den Universitäten in Paris (um 1150), Oxford (1167), Salerno (1173, eine Neugründung der Medizinschule), Palenzia (um 1178), Reggio (1188), Vicenza (1204), Cambridge (1209), Salamanca (1218) und Padua (1222), um nur die ersten zehn zu nennen; im Lauf des 13. Jahrhunderts kamen noch einmal zehn hinzu. Im 14. Jahrhundert entstanden 25 neue Universitäten und im 15. weitere 35; also waren es im Jahr 1500 in Europa 80 Universitäten, ein Anzeichen für die erstaunliche Wiederbelebung der Wissenschaften im Abendland, die mit der Aneignung des griechisch-arabischen Wissens im 12. Jahrhundert ihren Ausgang genommen hatte.
Für nachfolgende Universitäten in Südeuropa wurde Bologna zum Vorbild; Paris und Oxford für die Gründungen im nördlichen Teil des Kontinents. Berühmt war Bologna für sein Studium der Rechte und der Medizin, Paris für Logik und Theologie und Oxford für Philosophie und Naturwissenschaften. Die Medizinerausbildung stützte sich vorwiegend auf die Lehre des Hippokrates undGalens; das Studium der Logik, der
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