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schätzen«, bemerkte ich.
»Das findet man nicht so häufig; der Sextourismus ist in Afrika längst nicht so stark verbreitet wie in Asien. Allerdings der Tourismus ganz allgemein auch nicht. «
»Und was hat sie dir darauf geantwortet?«
»Die üblichen Dinge: Die Schwarzen sind lockere Typen, sehr männlich und haben einen ausgeprägten Sinn fürs Feiern; sie verstehen es, sich zu amüsieren, ohne metaphysische Probleme zu wälzen, man hat keine Schwierigkeiten mit ihnen. «
Die Antwort der jungen Deutschen war zwar banal, lieferte aber bereits die Grundthesen einer diesbezüglichen Theorie: Alles in allem waren die Weißen verklemmte Neger, die versuchten, die verlorene sexuelle Unschuld wiederzufinden. Selbstverständlich erklärte das in keiner Weise die rätselhafte Anziehungskraft, die die asiatischen Frauen auszuüben schienen, und auch nicht das sexuelle Ansehen, das die Weißen allen Zeugnissen zufolge in Schwarzafrika genossen. Ich entwickelte daraufhin die Grundlagen einer komplexeren und zweifelhafteren Theorie: Kurz gesagt, die Weißen wollten sich bräunen lassen und Negertänze lernen; die Schwarzen wollten sich die Haut aufhellen und das Haar entkrausen lassen. Die ganze Menschheit strebte instinktiv nach Rassenmischung, nach einer generalisierten Undifferenziertheit; und das gelang ihr in erster Linie über die Sexualität. Der einzige jedoch, der diesen Prozeß konsequent zu Ende geführt hatte, war Michael Jackson: Er war inzwischen weder schwarz noch weiß, weder jung noch alt; in gewisser Weise sogar weder Mann noch Frau. Niemand konnte sich sein Sexualleben wirklich vorstellen; da er die Kategorien der gewöhnlichen Menschheit begriffen hatte, hatte er sich in den Kopf gesetzt, sie zu überschreiten. Daher konnte man ihn für einen Star halten, und sogar für den größten - und in der Tat für den ersten Star der Weltgeschichte. Alle anderen - Rudolph Valentino, Greta Garbo, Marlene Dietrich, Marilyn Monroe, James Dean, Humphrey Bogart - konnte man höchstens als talentierte Künstler betrachten, sie hatten nur die Bedingungen
des menschlichen Daseins imitiert und in eine ästhetische Form umgesetzt; Michael Jackson hatte als erster versucht, ein Stück weiterzugehen.
Das war eine reizvolle Theorie, und Valérie hörte mir interessiert zu; ich selbst war jedoch nicht wirklich davon überzeugt. Mußte man daraus schließen, daß der erste Cyborg, das erste Wesen, das bereit sein würde, sich Elemente künstlicher Intelligenz außermenschlichen Ursprungs ins Gehirn einpflanzen zu lassen, dadurch zugleich zu einem Star wurde? Vermutlich ja; aber das hatte nicht mehr viel mit dem Thema zu tun. Michael Jackson war zweifellos ein Star, dennoch war er gewiß kein Sexsymbol. Wenn man große Touristenströme anlocken wollte, um kostspielige Investitionen rentabel zu gestalten, mußte man sich primitiveren Anziehungskräften zuwenden.
Kurz darauf kehrten Jean-Yves und die anderen von ihrer Stadtbesichtigung zurück. Das Heimatmuseum war vor allem den Bräuchen der Taino-Indianer gewidmet, den Ureinwohnern dieses Landstrichs. Sie hatten anscheinend ein friedliches Leben als Bauern und Fischer geführt, es hatte kaum Konflikte zwischen benachbarten Stämmen gegeben ; die Spanier hatten leichtes Spiel gehabt, diese kampfunerfahrenen Menschen auszurotten. Heute war bis auf ein paar winzige genetische Spuren im Erscheinungsbild mancher Individuen nichts mehr von ihnen übriggeblieben, ihre Kultur vollständig verschwunden, es war, als hätte es sie nie gegeben. Auf manchen Zeichnungen der Geistlichen, die - zumeist vergeblich - versucht hatten, sie für die Botschaft des Evangeliums empfänglich zu machen, sah man sie beim Bestellen der Äcker oder beim Kochen am offenen Feuer; Frauen mit nackten Brüsten stillten Kinder. All das vermittelte zwar nicht unbedingt einen paradiesischen Eindruck, aber zumindest den eines sich langsam vollziehenden Geschichtsprozesses; die Ankunft der Spanier beschleunigte merklich die Dinge. Nach den klassischen Konflikten zwischen
den Kolonialmächten, die damals den Ton angaben, erlangte Kuba 1898 die Unabhängigkeit, geriet aber sogleich unter amerikanische Herrschaft. Nach einem mehrjährigen Bürgerkrieg gewannen die von Fidel Castro angeführten revolutionären Kräfte Anfang 1959 die Oberhand über die reguläre Armee und zwangen Batista zur Flucht. Angesichts der damaligen Aufteilung der Welt in zwei Blöcke, mußte sich
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