Platzhirsch: Ein Alpen-Krimi (German Edition)
Puppenküche noch aus den Beständen ihrer Mutter gestammt.
»Das liebt er. Da spielt er stundenlang.« Er atmete tief durch. »Ja, also das Gemälde …«
»Gemälde, ha!«, schnaubte seine Frau. »Gemälde! Das ist ein schauerlicher Schinken. Ich hatte in meinem Leben das Glück, echte Künstler kennenzulernen und echte Kunst zu sehen. Aber das hier ist einfach grausam. Ich ertrage dieses Bild nicht, das weißt du doch, Bartl.« Sie schüttelte den Kopf und ging.
»Mäuselchen, das ist nur ein Gemälde!«, rief er seiner Frau hinterher.
Veit Bartholomä wandte sich wieder an Irmi. »Hieronymus von Braun stammte aus Ostpreußen. Bis zum Zweiten Weltkrieg kam der Elch in Deutschland in Mecklenburg, in Teilen Ostbrandenburgs und Schlesiens, vor allem aber in Ostpreußen vor. Bejagung und Kriegswirren haben dem Elch den Garaus gemacht. Bei den von Brauns gehören die Elche quasi zur Familienhistorie: Sie hatten in Ostpreußen einen Elch aufgezogen, der seine Schaufeln immer am Eingang zum Wohnzimmer säuberte und vor dem Kamin schlief, zum Verrichten seiner Geschäfte aber immer brav hinaustrabte. Hier in Öl für die staunende Nachwelt erhalten.«
Irmi runzelte die Stirn. »Na, ich weiß nicht.«
»Hieronymus von Braun hat jede Menge Literatur über Elche angehäuft, er erzählte auch immer die Geschichte aus dem Litauischen, in der ein Mädchen einen zahmen Elch ritt und Botendienste fürs Militär verrichtete. Die Elchreiterin in geheimer Mission konnte nie gestellt werden, weil man ja anhand der Spuren nicht wissen konnte, dass das ein zahmer Elch war.«
»Also noch mal, damit ich das jetzt alles auf die Reihe bekomme: Von Braun kommt aus Ostpreußen, wurde vertrieben und ging dann ins Werdenfels?«
»Nicht ganz. Die von Brauns gingen schon 1930 aus Ostpreußen weg. Hieronymus’ Vater war die ganze politische Situation suspekt, er kam mit viel Geld ins Allgäuer Unterland und kaufte sich dort ein blühendes Gut mit achtzig Hektar Acker und vierzig Hektar Wald. Gut Glückstein. Außerdem besaß er größere Waldstücke und Wiesen im Lechtal, unweit von Reutte. Als seine Frau starb, verkaufte er beides. Erst Reutte, dann das Gut. Und dann erwarb er das alte Jagdschloss. Das gehörte vorher einem entfernten und sehr verarmten Verwandten.«
Irmi wartete eine Weile und sagte dann leise: »Sie waren mit dem Tausch nicht so sehr einverstanden?«
»Da steht mir kein Urteil zu.«
»Herr Bartholomä, bitte!«
»Gut Glückstein und seine Umgebung war viel großzügiger und der Blick weiter. Wogende Getreidefelder wie in Ostpreußen. Hier ist Enge. Der Wald ist drückend. Viel zu viele Fichten. Regina hat zwar mit Laubbäumen aufgeforstet, aber bis das hier ein Mischwald wird, vergehen noch Generationen. Auch die Ländereien bei Reutte waren viel interessanter, er hätte dort ein neues, größeres Haus statt dem einstöckigen Sommerhaus bauen können. Die Landschaft dort war viel heiterer. Es gab den Wald, aber auch angrenzende Wiesen bis hinunter in die Lechauen. Aber Hieronymus stieß Reutte sehr schnell ab, der Käufer hat sicher ein Schnäppchen gemacht. Verstehen Sie mich nicht falsch. Es kann auch hier heiter sein, aber wenn es mal ein paar Tage regnet, ist es so, als seien alle Wege nach draußen verstellt. Eiserne Vorhänge aus Regen. Die Fluchtwege sind uns allen verstellt.«
Irmi fand, dass das ein gelungenes Bild war. Sie hatte diese Enge auch gespürt.
»Sie waren also in Gut Glückstein auch schon angestellt?«
»Wir sind quasi als lebendes Inventar mit umgezogen.«
»Ihre Frau meinte, Sie seien wegen Robbie geblieben, weniger wegen Regina. Weil die so starrsinnig ist?«
Er wiegte den Kopf hin und her. »Natürlich sind wir auch wegen Regina geblieben. Natürlich! Sie war sechs Jahre alt, ihr Vater war ständig im Forst. So ein kleines Mädchen braucht auch Struktur. Es kann nicht nur im Wald herumlaufen. Es muss regelmäßig essen, lernen, Mädchen sein.«
Mädchen sein? Was war das? Kochen lernen? Sticken? Stricken? Putzen gar? Sich anpassen? Irmi befürchtete, dass in ihrer eigenen Erziehung beim Thema ›Mädchen sein‹ auch einiges schiefgelaufen war, doch sie schluckte jeden Kommentar hinunter und bemühte sich um eine neutrale Stimme. »War Regina denn nun starrsinnig?«
»Sie sind das ja auch mit Ihrer ganzen Fragerei«, brummte Bartholomä.
»Das ist bei mir eine Berufskrankheit«, sagte Irmi etwas schärfer.
Er seufzte. »Regina ist Biologin, vor allem Wildbiologin, sie hat in
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