Platzhirsch: Ein Alpen-Krimi (German Edition)
den Revierjäger, Herrn Kugler, hergebeten, damit er uns etwas mehr über das Kaliber erzählen kann. Er müsste gleich da sein.«
Wenig später stand Franz Kugler vor ihnen. Er war bärtig, trug dicke Filzstiefel und ein Karohemd unter einer olivfarbenen Fleecejacke. Der Mann wirkte besonnen und schien ein ruhiger Typ zu sein, der weder arrogant noch oberschlau daherkam.
»Was Sie da gefunden haben, ist das Kaliber der Wilderer«, erklärte Kugler. »Günstiger Preis, geringe Geräuschentwicklung und geringer Rückstoß.«
Kathi sah ihn völlig verblüfft an. »Gibt es heute allen Ernstes noch Wilderer? Das ist doch Jennerwein-Schmarrn, oder?«
Der Revierjagdmeister sah Kathi an und antwortete resigniert: »Ja, ein Schmarrn ist das schon, wenn Sie so wollen. Aber leider hochaktuell. Und mit Verlaub, es ist mehr als ein Schmarrn. Von wegen Alpenrebellen und Robin Hood unterm Karwendel – Wilderei ist nicht nur ein Straftatbestand, sondern auch ein schweres Verbrechen gegen die Tiere!«
Es war still im Raum, bis Andrea leise sagte: »Die armen Tiere.«
Kathi setzte gerade zu einem Spruch an, und ausnahmsweise blieben ihr die Worte im Halse stecken. »Andrea, du bist doch echt …« Vermutlich hatte sie Andrea wegen ihrer kindischen Tierliebe aufziehen wollen, doch der Revierjäger bedachte Kathi mit einem so scharfen Blick, dass sie vorzog zu schweigen.
»Diese vermaledeiten Wilderer schießen oft mit viel zu kleinen Kalibern. Für die Jagd auf Hochwild sind 6,5-Millimeter-Patronen vorgeschrieben und eine Auftreffenergie von mindestens zweitausend Joule auf hundert Meter. Wilderer aber schießen gerne mit Kleinkalibern, weil die nicht so laut sind, und sie verwenden meistens Schalldämpfer. Wenn dann obendrein mit Unterschall geschossen wird, weil Überschall ja einen Knall erzeugt, ist das Geschoss noch langsamer. Das führt oft dazu, dass die Tiere nicht sofort niedergehen, sondern flüchten und elend sterben müssen.« Er unterbrach sich, suchte Irmis Blick. »Was Sie da haben, ist eine Minipatrone, die beispielsweise auf der Karnickeljagd verwendet wird. Und für die Jagd auf Menschen ist sie eigentlich auch ungeeignet.«
Die Stille im Raum war erdrückend.
»Die verwenden Biathlongewehre«, fuhr Kugler fort, »sägen die Läufe ab, verwenden Eigenbauten – das alles aus Spaß, aus einer perversen Tradition heraus. Und wissen Sie was, dieses Wildererpack meint auch noch, es sei wer. Es sei stark, dabei sind das Feiglinge!«
Diese Wildererromantik hatte sich Irmi ohnehin nie erschlossen, auch nicht die romantisierenden Filme. Sie hatte diese überzeichneten Typen immer schon als kriminell empfunden, vielleicht war sie ebendeshalb Polizistin geworden.
Weil niemand etwas sagte, fuhr der Revierjäger mit seiner leisen, aber eindringlichen Stimme fort: »Wissen Sie, wie das ist, wenn Sie immer wieder Gamsen finden, denen das Projektil in der Lunge steckt? Dass wir Kadaver ohne Kopf finden wegen der Trophäen? Dass wir Tiere finden, die offensichtlich lange mit dem Tode ringen mussten. Weil diese Wilderer-Saubeutl nicht schießen können.«
Kathi war nun ziemlich kleinlaut.
»Ich frage mich jetzt nur, warum tun die Leute das?«, wollte Irmi wissen. »Um das Fleisch wie bei der Armut früher geht es ja wohl kaum, oder?«
»Nein, es geht zu neunzig Prozent um die Trophäe. Im Nationalpark Berchtesgaden ist die Wilderei ein permanentes Problem. Ein Kollege von mir hat dort während der Hirschbrunft fünf Männer in der Dämmerung angetroffen, ist ganz arglos näher getreten, um zu fragen, ob er was helfen könne. Da sind die Kerle plötzlich davongerannt und haben einen Hirsch mit abgetrenntem Schädel zurückgelassen. So schaut das aus in unseren Revieren.«
»Und was machen Sie dann?«, fragte Sailer.
»Ich kann ja schlecht auf einen Fliehenden schießen. Dann hätt ich euch am Hals. Also hinterherrennen und das eigene Leben gefährden? Am besten wäre es noch, der Hund würde den Wilderer stellen – aber was ich sagen will: Es ist extrem schwierig, Wilderer auf frischer Tat zu ertappen. Man muss ihre Vorlieben ausloten, erst langfristig erwischt man sie.«
»Wie den Jennerwein?«
»Dieser verdammte Georg Jennerwein! Dem haben wir den ganzen Mythos zu verdanken. Als zwölfjähriger Bub hat er miterlebt, wie sein Vater von königlichen Jägern als Wilderer erschossen wurde, aber anstatt sich das eine Lehre sein zu lassen, trat er in Papas Fußstapfen. Weil sein Salär als Holzknecht nicht reichte,
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