Platzhirsch: Ein Alpen-Krimi (German Edition)
– wortlos.
Die Strecke hinauf nach Mittenwald war heute wenig befahren. Die Touristensaison hatte noch nicht begonnen, und tuckernde Traktoren waren auch keine unterwegs. Wobei die modernen Landwirte ja kaum mehr tuckerten, sondern mit Mammutbulldogs unterwegs waren, deren Sinn nur einer sein konnte: den Nachbarn zu beeindrucken. Bei Preisen weit über hunderttausend Euro konnte man nicht mehr tuckern, sondern man dröhnte heran.
Kugler hatte ihnen beschrieben, wo der schießfreudige Musikant wohnt. Abgelegen lebte er in jedem Fall. Sie fuhren auf einem Wegerl zum Lautersee hinunter, der noch gänzlich unbeeinflusst von Wanderwaden, Bikern oder Badewütigen dalag. Irmi schlingerte in einer eisigen Fahrspur voran, wo im Sommer der Wanderbus verkehrte. Sie umrundete den See und nahm dann einen Forstweg, an dessen Ende ein altes Holzhaus stand. Rundum lehnten sich Holzscheite an, und es war unklar, wer da wen stützte: das Holz das Haus oder das Haus die akkurat geschichteten Scheite. Darin war der Wilderer in jedem Fall ordentlich. Irmi kam sich vor wie in der Kulisse zu einem Wildererfilm. Der Mann schien sich zu inszenieren, allein die Tatsache, dass er als Matthias natürlich auch namentlich in die Fußstapfen des bayerischen Hiasl getreten war.
Irmi hatte Andrea gebeten, Infos zusammenzutragen. Darin war Andrea ganz großartig, und weil sie das wohl in irgendeiner Frauenzeitschrift gelesen hatte, nannte sie die Unterlagen neuerdings Dossier. Auf der rosafarbenen Mappe, die Andrea ihr mitgegeben hatte, stand in geschwungener Schrift ›Dossier Matthäus Klostermayr‹. Andrea packte alles zwischen solche rosa Pappdeckel, die sie anscheinend in inflationärer Menge besaß.
»Geboren 1736 in Kissing bei Augsburg, schon als Zwölfjähriger Hilfsarbeiter auf dem Schlossgut Mergenthau und ein Junge, dem mit sechzehn die Mutter wegstarb. Er war kurzzeitig legaler Jagdaufseher, verlor den Job aber, weil er einen Pater verspottete. Bei dem territorialen Fleckerlteppich, der das heutige Schwaben damals war, hatten solche Leute ein leichtes Spiel, denn die Verfolger beendeten ihren Einsatz jeweils an den Grenzen. Der Hiasl wurde bald Anführer einer richtigen Räuberbande, die auch Amtsstuben überfielen und ausplünderten. Nach einem Feuergefecht im Gasthof Post in Osterzell wurde er schließlich festgenommen und am 6. September 1771 in Dillingen an der Donau hingerichtet.«
Nun standen Irmi und Kathi also vor der Tür der Version »Hiasl zwoa«. Die Tür war eingerahmt von Rehkrickerl, und noch bevor Irmi klopfen konnte, wurde sie aufgerissen. Alles an dem Mann war schwarz. Er hatte schwarze Locken, die bereits ein klein wenig von Grau durchzogen waren. Seine Augen waren rabenschwarz, die Brauen auch. Er trug eine abgewetzte Lederhose und ein bis zum Gürtel offenes geschnürtes Leinenhemd, das den Blick auf ziemlich viel schwarzes Brusthaar preisgab. Seine behaarten Arme erinnerten an einen schwarzen Waldtroll. Ein Troll trifft auf eine Elfe, schoss es Irmi durch den Kopf. Der Typ schien Kathi sofort ins Visier genommen zu haben, seine Augen wanderten unverfroren über ihren Körper.
»Fertig? Soll ich mich umdrehen?«, motzte Kathi ihn an.
»Wennst mogst. Die Seitn kenn i jetzt. Deine Knöpf daten zum Spuin scho reichen, zum Melken braucht ma se ja ned. Brauchst di ned umdrehen. Du host eh koan Oarsch in der Hosn. Aber des schadt ned, fett werden die Weiber friah gnug.«
Bevor Kathi nun handgreiflich würde oder ihre Waffe zog, setzte Irmi auf Deeskalation durch rüde Ablenkung.
»Und tot werden s’ auch, die Weiber, wenn sie dir blöd im Weg rumstehen!«
»Wer ist tot?«
»Wo warst am Sonntag in der Nacht? Wildern?« Irmi vermied es normalerweise, ihre Verdächtigen bayerisch jovial zu duzen, aber bei dem hier war ein »Sie« einfach nicht angebracht.
»Wo war i? Dahoam war i!«
»Zeugen?«
»Koane.«
»Schlecht. Sehr schlecht.«
Er lachte, inzwischen nicht mehr ganz so selbstsicher. »Wollts reinkommen?«
»Zu gütig.« Kathi erdolchte ihn mit Blicken.
Er drehte sich um. Irmi und Kathi folgten ihm durch einen Gang, hinein in die Stube unter tiefen Decken. Dort wies er auf eine Eckbank, öffnete ein kleines Kastl, das in die Wand eingelassen war. Traditionell der Platz für den Hausgebrannten. Er griff hinein und stellte drei Gläser sowie einen Steingutkrug auf den Tisch. Schenkte ein.
»Sagts jetzt bloß ned, ihr seids im Dienst.«
»Sind wir aber.«
»Bled.« Er selbst kippte ein Stamperl und
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