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Platzhirsch: Ein Alpen-Krimi (German Edition)

Platzhirsch: Ein Alpen-Krimi (German Edition)

Titel: Platzhirsch: Ein Alpen-Krimi (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicola Förg
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geschrieben?«, wollte Kathi wissen.
    »Ja, das hat er. Plinius der Ältere setzt in seiner Naturalis historia noch eins drauf: Wegen seiner großen Oberlippe könne der Elch nur rückwärts gehend grasen.«
    »Die Erde war ja auch mal eine Scheibe«, meinte Irmi. »Wer weiß schon, was die Menschen in tausend Jahren über unser Wissen denken?«
    »Hoffentlich gibt’s bis dahin keine Menschen mehr«, sagte Bartholomä. »Diese Spezies hat es nicht verdient zu überleben. Sie zerstört alles, auch sich selbst, und das ist der einzige Lichtblick.« Er sagte das so bitter, so kalt, dass Irmi glaubte, einen Eishauch zu spüren.
    »Sie sind ja auch Jäger, Herr Bartholomä. Wie schätzen Sie die Chance ein, solche Wilderer zu stellen?«
    »Gleich null.«
    »Wir haben Anlass zur Befürchtung, dass Regina von einem Wilderer getroffen wurde. Vielleicht wurde er gestört, und Regina kam ihm in die Quere.«
    »Kann schon sein. Oder ein kurzsichtiger Jäger hat sie erwischt. Ich war mal Treiber, als auf Hasen geschossen wurde. Der Schrot ist vom Eisboden abgespickt. Mein lieber Herr Gesangsverein! Da hüpfen Sie, da lernen Sie steppen. Da weiß man, dass man noch lebt.«
    »Meinem Bruder ist so was auch mal passiert, aber wir reden hier nicht von Schrot. Wir reden vom Kaliber .22lr.«
    Er nickte. »Klassische Wildererwaffe.«
    »Kennen Sie jemanden, der so etwas besitzt?«
    »Frau Mangold, es liegt im Wesen der Wilderer, dass sie wenig an die Öffentlichkeit treten. Das ist der Abschaum.«
    »Gab es Fälle von Wilderei bei Ihnen?«
    »Ja, mehrfach. Wir haben schon öfter Kadaver mit abgeschnittenen Köpfen gefunden. Regina hatte Angst um die Elche und auch um die Rentiere, darum ist sie oft abends noch raus zum Gehege gegangen.«
    Wie aufs Stichwort traten die Rentiere aus dem Wald. Es waren acht Exemplare, Irmi hatte bisher nur die beiden zahmen Elche gesehen. Die Rentiere waren kleiner als erwartet, einer trug aber ein recht großes Geweih. Bartholomä war ihrem Blick gefolgt.
    »Das ist Rudi.«
    »Rudi, the red-nosed reindeer?«
    »Rudi, der Rüpel. Der Depp hat mir schon einmal sieben Rippen gebrochen, und ich sah auch im Gesicht ziemlich verhaut aus. Rudi war in der Brunst, und ich dachte: Der kennt mich doch. Das war dem Rentiermännchen im Hormonrausch aber egal – er hat in mir den Rivalen gesehen.«
    Bartholomä lächelte sogar.
    »Das war ein Lernprozess, das Tier konnte ja nichts dafür. Mit solchen Exoten muss man erst mal zusammenwachsen. Ich war mit Regina extra einmal in Finnland, um Tipps einzuholen. Du darfst denen nicht direkt in die Augen schauen, sagen die Finnen, und wir haben auch viel über die Fütterung gelernt. Rentiere haben eine sehr sensible Verdauung und bekommen leicht Durchfall. Dabei handelt es sich meist um eine leichte Verwurmung, wenn man aber nicht täglich den Kot kontrolliert, kann die Situation schnell entgleisen. Dann sterben sie binnen zweier Tage, wenn man nichts unternimmt. Das hatten wir auch schon. Wie gesagt: ein Lernprozess.«
    Irmi hatte Bartholomä bisher immer als ein wenig brummig und wenig zugänglich empfunden, heute aber war er richtig redselig.
    »Sie mögen diese Tiere?«
    »Ja, sogar lieber als die Elche. Sie sind immer noch Wildtiere, sie haben eine interessante Sozialstruktur. Regina hat natürlich probiert, die als Schlittenrentiere zu trainieren.«
    »Um dann an Weihnachten vor dem Supermarkt zu stehen?«, fragte Irmi staunend.
    »Nein, eher für ihre Schulbesuche und hier fürs Zentrum.«
    Rudi sah huldvoll zu ihnen herüber und versenkte dann die Nase wieder in der hölzernen Futterrinne.
    »Wie kommen die hier zurecht?«, fragte Irmi. Vielleicht könnte sie Bernhard ja vorschlagen, Rentiere zu halten? Der würde seine Schwester garantiert sofort einliefern lassen. Sie grinste in sich hinein.
    »In Finnland hat es im Sommer auch mal dreißig Grad. Die Temperatur ist kein Problem, wenn die Tiere einen kühlen Unterstand haben. Hier ist der Vorteil, dass es zwei Drittel weniger blutsaugende Insekten gibt als in Skandinavien. Wir haben festgestellt, dass Medikamente für andere Huftiere bei Rentieren gar nicht wirken. Unsere Exemplare stammen aus der Uckermark. Vom Züchter dort wissen wir auch, was für ein Spezialfutter sie brauchen.«
    Sie blickten über das Paddock. Es war so friedlich in diesen Minuten, die hektische Welt war irgendwo da draußen. Das Gut lag nur wenige Kilometer von einer viel befahrenen Straße ins Tiroler Zugspitzgebiet entfernt, aber diese

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