Platzhirsch: Ein Alpen-Krimi (German Edition)
wenigen Kilometer führten in eine hermetisch abgeriegelte Welt .
»Sie haben uns das gar nicht erzählt, das mit der Wilderei«, stellte Kathi nach einer Weile fest.
»Bitte entschuldigen Sie, dass ich nicht gleich daran gedacht habe. Regina ist tot, meine Frau ist am Boden zerstört. Wir wissen kaum noch, wie wir Robbie ablenken können. Suchen Sie den Mörder, ich muss hier für meine Lieben mitdenken. Verzeihen Sie mir, dass ich in der Polizeiarbeit so schlecht bin. Natürlich ist es nur allzu wahrscheinlich, dass Regina auf einen Wilderer getroffen ist. Ach, wäre ich an dem Abend doch mitgegangen. Vielleicht hätte ich etwas verhindern können.«
»Womöglich wären Sie dann auch erschossen worden. Nachtarocken bringt nichts«, sagte Kathi – unsensibel wie immer.
Irmi runzelte die Stirn und wandte sich wieder an Bartholomä. »Sie haben hier über achtzig Hektar, also eine Eigenjagd. Regina hat das allein gestemmt?«
»Mit mir zusammen. Wir hatten keine Probleme mit Verbiss. Unsere Situation der Verjüngung ist günstig.«
»Haben Sie denn Ihre Abschusszahlen erfüllt?«, fragte Irmi.
»Wir haben jedenfalls keine Postkartenrehe geschickt!«, brummte Bartholomä.
»Was für Rehe?«
»Wir sprechen von Postkartenrehen, wenn man dem Landratsamt Rehe meldet, die man in Wirklichkeit gar nicht abgeschossen hat. Eine fatale Dummheit, denn dann glauben die Pappnasen auf den Ämtern, die keine Ahnung von der Realität im Wald haben, die Rehe seien wirklich da. Es ist unabdingbar, den aktuellen Stand mitzuteilen. Aber wir haben einen gesunden Wildbestand.«
In diesem Moment kam Robbie plötzlich hinter der Futterhütte hervor und entdeckte die beiden Kommissarinnen. Er stieß hervor: »Sie hat doch alles aufgeschrieben!«
»Hallo, Robbie«, sagte Irmi sanft. »Schön, dich zu sehen. Bist du schon zurück von der Arbeit? Ja, wir wissen, dass Gina alles aufgeschrieben hat.«
»Nein, wisst ihr nicht. Sie hat alles aufgeschrieben. Alles! Alles! Alles!« Er stampfte mit dem Fuß auf und begann sich zu drehen. Wie ein Derwisch. Dabei rief er immer wieder: »Alles! Alles! Alles!«
Veit Bartholomä erwischte ihn am Arm und bremste ihn. »Ist gut, Robbie. Du hast doch gesehen, dass die Frau Kommissar im Büro war. Robbie!«
»Sie hat alles aufgeschrieben«, wiederholte Robbie. Seine Stimme wechselte vom Lauten ins Weinerliche oder Flehende.
»Robbie, wo hat sie das denn hingeschrieben?« Irmi betrachtete ihn genau.
»In den Computer im Büro. Als wenn wir das nicht wüssten!«, maulte Kathi.
Irmi sandte ihr einen bitterbösen Blick und lächelte dann Robbie an. »Stimmt, Robbie, alles hat sie aufgeschrieben. Wohin denn?«
»Weiß nicht.«
»In ihren Computer im Büro, oder, Robbie? Da, wo der schöne alte Sessel von deinem Papa steht. Und wo der lustige Elch ist. In den Computer hat sie’s reingeschrieben, oder, Robbie?«
Robbie schüttelte den Kopf. »Nein!«
»Der hat sie doch nicht alle«, zischte Kathi. Political Correctness war nicht ihr Ding.
»Alles! Alles! Alles!«, stieß Robbie aus und sah Kathi an, die gleich wegsah, weil sie seinem Blick nicht standhalten konnte. »Ins Klapp. Klapp in der Küche. Da hat sie’s reingeschrieben.« Und er rannte los. Weinte. Drehte sich noch mal um. »Gina hat’s doch verboten, dass ich’s sag.«
Bartholomä rannte Robbie nach.
»Das haben Sie ja fein hingekriegt!«, schrie Bartholomä und lief Robbie hinterher.
»Der hat eher einen an der Klappe oder gehört in die Klapse«, meuterte Kathi.
»Himmel, Kathi! Jetzt reiß dich mal zusammen.«
Irmi überlegte. Robbie sagte nicht einfach wirres Zeug. Sie lebten nur in anderen Bewusstseinswelten. Was hatte Bartholomä über die Wahrnehmung gesagt? Welche Wahrnehmung die verzerrte war, welche nun die bessere oder gar die richtige war, das wusste nur Gott.
»Ins Klapp. In der Küche. Was meint er?«
Kathi hatte offenbar bemerkt, dass sie vorhin übers Ziel hinausgeschossen war, und gab sich Mühe, Irmi zu folgen.
»Eine Klappe im Küchenboden? Alte Häuser haben doch oft Kartoffelkeller«, schlug sie vor.
Irmi fand die Idee gar nicht so schlecht. Gemeinsam gingen sie in die Gutshausküche. Allerdings gab es dort keinen Keller. Helga Bartholomä, die Gemüse putzte, beäugte die beiden Frauen skeptisch. »Was machen Sie da?«
»Gibt es einen Raum mit einer Bodenklappe? Wenn nicht in der Küche, dann vielleicht anderswo im Haus?«, fragte Irmi und erzählte ihr von Robbies Aussage. »Er redet dauernd von einem
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