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Platzhirsch: Ein Alpen-Krimi (German Edition)

Platzhirsch: Ein Alpen-Krimi (German Edition)

Titel: Platzhirsch: Ein Alpen-Krimi (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicola Förg
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viel übergeben, und sie hat noch mehr geweint. Mit einer der Mägde hat sie viel herumgetuschelt, und dann hat sie einmal den ganzen Tag gefehlt. Am Abend sah sie schrecklich aus. Da hat sie noch mehr geweint und ist sehr krank geworden. Wir hatten große Bange, dass sie stirbt. Dann verstand ich auch, dass sie von einer Engelmacherin gekommen war. Die Mägde brachten allerlei Tees und Kräuter, aber nichts half, sie wurde immer elender.
    Eines Tages kam die Herrin, die meist in ihrem fahrbaren Stuhl sitzt und nur noch die wenigste Zeit mit ihren Krücken stehen kann, leibhaftig in Johannas Kämmerchen. Die Herrin ließ einen Doktor kommen. Sie ist so blass und zart, die Herrin, aber wenn sie etwas anschafft, spricht selbst der Herr ganz leise. Auch der Doktor war voller Ehrerbietung, und er hat die Johanna wieder ganz gesund gemacht.
    Irmi saß am Küchentisch vor Regina von Brauns Netbook. Rechts und links von ihr hatte sich je ein Kater auf der Bank zusammengeringelt. Die anfängliche Euphorie war längst gewichen. Irmi verfluchte mal wieder, dass sie sich mit dem Computer nie so recht angefreundet hatte. Reginas System war so verwirrend, dass Irmi Andrea bitten würde, all diese Ordner und Unterordner zu sortieren. Einer der Ordner trug den Namen Gut Glückstein. Hatte so nicht das ehemalige Gut der Familie von Braun geheißen? Darin befanden sich lauter Dateien mit Textfragmenten. Bei einigen schien es sich um Gesprächsaufzeichnungen zu handeln, die Regina aus dem Gedächtnis notiert hatte. In einem anderen Text beschrieb Regina ihren Vater Hieronymus von Braun und ihre Mutter Margarethe.
    Sein Leben war der Wald. Und das ist keine Plattitüde, kein Satz, der gut klingt und den man einfach so dahersagt. Es war wirklich sein Leben. Er atmete mit dem Wald im Zweiklang. Lange vorher wusste er, wie das Wetter werden würde. Ich glaube, er wusste schon vor dem Borkenkäfer selber, dass dieser einen Baum befallen würde. Ich war oft mit ihm unterwegs. Er ließ seine Hand über Bäume gleiten. Er konnte mit verbundenen Augen an der Rinde alle Sorten auseinanderhalten. Am Wispern ihrer Kronen konnte er erkennen, ob es Ahorn oder Eiche war, Linde oder Erle. Er war ein sanfter Mann. Nie laut. Aber er war immer auch etwas entrückt. Er war nie ganz bei uns. Er war zu mir immer gut und sicher auch stolz, dass ich seine Leidenschaft teilte, aber er konnte es nie zeigen. Meine Mutter hat er, glaube ich, abgöttisch geliebt, aber auch ihr gegenüber war er immer so zurückgenommen höflich, dass ich ihn gerne mal geschüttelt hätte. Küss sie, umarm sie, schrei vielleicht mal. Er war rätselhaft.
    Mama, soweit ich mich erinnern kann, hat ihn ebenso sehr geliebt. Und so wie er dem Wald verfallen war, hatte sie sich mit Haut und Haar dem Gemüse verschrieben. Sie züchtete prächtige Tomaten, Paprika und Peperoni in Sorten, die noch gänzlich unbekannt waren. Es gab Mangold und Spinat und Salate mit riesigen Köpfen. Oder vielleicht kamen die mir nur als kleines Mädchen so vor. Für mich wäre meine Mutter heute ein Gemälde von Arcimboldo. Eine schöne, schmale Frau, die inmitten von buntem Gemüse hervorlugt. Ich sehe sie immer mit Handschuhen, immer mit einer kleinen Harke, immer mit einem Messingeimer. Sie trug Herrenlatzhosen und darunter bunte Blusen und war für mich die schönste Frau der Welt. Auch sie war sanft, nur beim Geld wurde sie knallhart. »Wir Frauen müssen das Sacherl zusammenhalten«, sagte sie immer und grinste unsere Gutsverwalterin Helga an.
    Ich glaube, wir waren eine sehr exotische Familie. Der Herr des Hauses war immer im Wald. Die Frau des Hauses war gemüsesüchtig und rief einen der ersten Hofläden ins Leben. Eine zupackende junge Verwalterin gab es, und ihr Mann war unser Forstarbeiter, der einfach alles konnte und wusste. Sie waren alle auf ihre Weise brillant, eigenartig und eigensinnig. Erst viel später spürt man, wie sehr das Leben in der frühen Kindheit einen prägt. Was man zeitweise lästig fand oder langweilig, hat sich doch tief ins Herz eingegraben. Wer immer draußen war, hat andere Lungen. Solche Lungen brauchen Waldluft. Wer immer draußen war, hat auch eine andere Seele, und solche Seelen brauchen Flügel.
    Irmi schluckte. Sie bewunderte Leute, die es verstanden, sich auszudrücken. Sie war für einen Moment eingetaucht in die Welt der von Brauns. Hatte Regina an der Geschichte ihrer eigenen Familie gearbeitet? Dann befand sich das Projekt offenbar noch in einem sehr frühen

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