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Platzhirsch: Ein Alpen-Krimi (German Edition)

Platzhirsch: Ein Alpen-Krimi (German Edition)

Titel: Platzhirsch: Ein Alpen-Krimi (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicola Förg
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Siebzigerjahre im Außerfern hatten mit den Siebzigern anderswo nichts gemein. Wir waren immer noch eine abgeschiedene Enklave, mit erschreckender Selbstmordrate. Wäre ich nicht so feig gewesen, hätte ich auch zu dieser Statistik beigetragen.«
    Die Schnapsgläser waren wieder voll. Diesmal nippte Irmi nur. »Es gab eine Journalistin vom ORF, die über die Schmach der Frauen berichten wollte, aber es hat keine ausgesagt. Du warst eine von denen, die am End …« Sie brach ab.
    »Ich sage dir doch, ich bin feige. Ich bin anders als Kathi. Wo sie voranprescht, gehe ich einen Schritt zurück. Sie ist Skorpion, ich bin Steinbock. Wo sie zusticht, stehe ich im Fels und warte.« Sie lächelte müde. »Die Journalistin, ja. Sie hieß auch Elisabeth. War aus Wien, ging alleine aus. Sie kam aus einer offenen Welt in unseren verriegeltes Welteneck, wie hätte sie uns verstehen können? Sie hatte alles arrangiert, wochenlang die Frauen aufgestachelt. Es kam ein Übertragungswagen über den Fernpass extra aus Innsbruck. Man hätte unsere Stimmen doch im Radio erkannt. Mein Mann hätte mich totgeschlagen. Dieses Mal hätte er mich totgeschlagen. Den Kiefer hatte er mir schon mal angebrochen. Ich hatte wochenlang Schmerzen, verlor Zähne, hatte Rückfälle mit Eiter im Kiefer.« Sie sah auf und wiederholte. »Diesmal hätte er mich totgeschlagen.«
    Irmi wusste, dass das der Wahrheit entsprach. Dass das keine Übertreibung war. Er hätte sie totgeschlagen. Und was hätte die anderen Frauen erwartet, wenn sie erzählt hätten von den Demütigungen, den Vergewaltigungen in der Ehe und von einem Arzt, der unter dem Deckmantel der Religiosität eben auch nur zur Duldung aufrufen konnte? Der Lohn für einen guten Christenmenschen kam ja immer erst nach dem Tode. So lange hatte man eben zu warten!
    »Und dann?«
    »Die junge Journalistin ging bald zurück nach Wien. Was gab es hier auch zu berichten? Nicht viel. Vielleicht mal Gerüchte über die Metallwerke. Gerüchte, ob der alte Schwarzkopf wirklich beim Gewehrreinigen verunfallt war. Einmal sind fünf junge Holländer in den Lech gefallen und wurden einige Tage später bei Füssen angeschwemmt. Diese Elisabeth ist den Lech abgefahren auf der Suche nach einer Leiche. Weißt du, es baut sich ein Druck auf, dem du nicht mehr entfliehen kannst. Keiner von uns konnte das, dabei hätten wir alle nur in den Zug einsteigen müssen. Es gab unsichtbare Mauern, eiserne Vorhänge, gewoben aus Angst.« Sie nippte an ihrem Glas. »Die Männer gingen wieder in die Lisl-Bar , knallten zu später Stunde ihre Schwänze auf den Tisch, einfache Vergnügungen und Männlichkeitsrituale.«
    »Warum sagt mir die Lisl-Bar etwas?«
    »Sie war eine Legende. Und bevor sie 1973 zu einer Disko wurde, war sie ein Musikklub. Ein Klub, der in kürzester Zeit Kult wurde. Die Wirtin hieß auch Elisabeth, sie war bestimmt erst Anfang zwanzig, als sie 1963 eröffnete. Aber zwischen den meisten Mädchen aus dem Außerfern und einer Elisabeth Nigg lagen Welten.«
    »Warum?«
    »Sie war in England und Frankreich auf der Hotelfachschule gewesen. Sie wollte nach Amerika, und um sie dazubehalten, eröffneten die Eltern ihr die Möglichkeit dieser Bar. Es gab eine Kellerbar in Lermoos, aber ansonsten in dieser Gegend nichts Vergleichbares. Die Gäste kamen von weit her.«
    »Und alle liebten Lisl?«
    »Ich war bei der Eröffnung elf Jahre alt, also wirklich noch nicht im Baralter. Aber sie tat viel für die Legendenbildung. Sie war Elisabeth Unerreicht, sie wäre nie mit einem Gast mitgegangen, sie trug Kostüme, wie man sie in Paris trug. Sie war ein unerreichbarer, strahlender Stern an einem Firmament, zu dem niemand hinaufreichte. Dass sie dann mit einem Allgäuer wegging, hat alle verwundert und die Männerwelt schwer enttäuscht. 1973 übernahm dann ein Onkel. Sie lebt heute – glaub ich – in Garmisch, du solltest sie fragen. Sie wird dir etwas ganz anderes erzählen als ich. Sie lebte in einer anderen Welt als wir, ihr Elfenbeinturm war glänzend.«
    Auf einmal ging die Tür. Kathi kam zurück.
    »Was, ihr schnapselt hier, während ich die Scheißarbeit mach?«
    »Ganz so ist es nicht«, sagte Elli leise.
    »Wie ist es dann?«
    Irmi empfand Kathis Ton als unangemessen ihrer Mutter gegenüber. »Konntest du denn was erreichen?«, fragte Irmi, um Kathi abzulenken.
    »Klar, die Kollegen waren begeistert. Ich darf jetzt am Wochenende helfen, Waffen zu überprüfen. Klasse, Irmi, danke.«
    Bevor die Situation weiter

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