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Platzhirsch: Ein Alpen-Krimi (German Edition)

Platzhirsch: Ein Alpen-Krimi (German Edition)

Titel: Platzhirsch: Ein Alpen-Krimi (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicola Förg
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eingetragen. Es war Erntezeit. Wir dürfen dem Himmelvater danken. Wir haben Heu und Stroh eingebracht, das Getreide war prächtig. Die Grundbira auch. Der junge Herr ist gekommen. Er ist ebenfalls ein Studikus, er war nun ein Jahr im Böhmischen und hat gelernt, eine große Forstwirtschaft zu führen. Er ist nur am Wald interessiert, er redet nur über Bäume und neue Sorten, die er pflanzen will. Er ist zurückhaltend und kommt nach der Mutter. Er ist klein und zart, aber seine Augen sind wie Kohle im lodernden Feuer. Der junge Herr hat uns Käse gegeben und eine Wurst, die Salami heißt. So etwas Feines habe ich noch nie gegessen.
    Ich musste gestern zur Herrin kommen. Ich hatte furchtbare Angst. Was habe ich getan, ich habe doch gearbeitet für zwei? Und ich war nur ganz kurz hinter den Hecken, weil mir immer so schrecklich übel wurde. Die Herrin sagte, ich solle mich zu ihr setzen. Sie sagte, dass ich es nicht wie Johanna wegmachen lassen darf. Ich habe sie gar nicht verstanden zu Anfang. Sie war so gütig, in ihren Augen lag so ein tiefer Schmerz. Dann habe ich sie verstanden. Sie hat gesagt, dass sie mir nicht helfen kann, aber sie gab mir einen Beutel. Mit Geld, ich habe noch nie so viel Geld gesehen. Sie hat gesagt, dass ich das verstecken muss und verteidigen muss mit meinem Leben und dass es für das Kindelein sein soll.
    Und dass ich dem Herrn vergeben muss, hat sie gesagt. Weil sie doch schuld sei, weil sie ihm doch keine Frau mehr sei. Sie hat mir Binden gegeben, auf dass ich das Bäuchlein gürten könne.
    Es war warm geworden. Wieder einmal viel zu schnell. Irmi wunderte sich immer, wie es Andrea schaffte, stets vor ihr im Büro zu sein.
    »Morgen, Andrea, der frühe Vogel …?« Irmi lächelte die junge Frau an, die ohne Weiteres ihre Tochter hätte sein können. »Bist du weitergekommen mit dem Klapp?«
    »Ja und nein. Also, ich meine, du hast recht. Das sollte ein Buch werden. Ich glaube, sie wollte eine Familiengeschichte der von Brauns schreiben. Der Titel sollte Gut Glückstein lauten. Ich hab dir die Dateien mal sortiert. Ehrlich gesagt war ich ziemlich, na ja, ich war erschüttert, was sie da über das Außerfern geschrieben hat. Wahnsinn, das ist ja gar nicht lange her. Und ihr Bruder behindert, also … Ich versteh das auch gar nicht so recht. Das ist doch gar nicht lange her. Ich wiederhole mich, ich weiß. Aber …«
    Ach, Andrea, dachte Irmi. Ich verstehe das auch nicht so ganz. Ihr war Elli lange als die Starke, die Souveräne, die Gelassene vorgekommen. Als eine emanzipierte Frau, die ihre Tochter allein groß gezogen hatte und die Enkelin gleich mit. Doch Elisabeth Storf war eine andere gewesen. Sie hatte sich von ihrem Mann schlagen lassen, den Unterkiefer hatte er ihr zertrümmert. Er hatte sie so niedergemacht, dass sie an nichts mehr geglaubt hatte. Und wenn Irmi ehrlich war, passierte das im dritten Jahrtausend noch genauso: Auch kluge Frauen glaubten irgendwann mal, dass sie der letzte Dreck waren. Wenn man das nur oft genug gesagt bekam, glaubte man an den eigenen Unwert – im Mittelalter, in den Siebzigern und heute.
    Und wenn man das von einem Menschen gesagt bekommt, der einen doch eigentlich lieben will, der versprochen hat, für einen zu sorgen in guten wie in schlechten Tagen, wiegt das noch viel schwerer. Bis Elisabeth Storf die heutige Elli Reindl geworden war, waren Flüsse aus Tränen ins Meer geflossen. Sie hatte mit Sicherheit viele Jahre ihres Lebens damit verbracht, Kraft zu schöpfen, aufzubegehren, loszukommen. Irmi Mangold war auch mal Irmi Maurer gewesen, und es hatte ebenfalls schier ewig gedauert, wieder Irmi Mangold zu werden, eine Irmi, die an sich glaubte, die wertvoll war, die aufstand für sich selbst und andere.
    »Ja, ich finde das auch sehr unverständlich, Andrea«, sagte Irmi nur. »Hast du mir die Texte ausgedruckt?«
    »Ja, also ich hab da allerdings noch ein Problem.«
    »Ja?«
    »Sie hat irgendwelche alten Aufzeichnungen eingescannt. Das ist ziemlich schwer zu lesen. Ich kann das gar nicht entziffern, ist nämlich in altdeutscher Schrift. Kannst du das lesen?«
    Konnte sie das? Gedruckte Bücher ja, sie hatte die Trotzkopf -Bände von ihrer Mutter in altdeutscher Schrift gelesen. Damals hatte man in Büchern noch geschmökert, anstatt sich Apps aufs Smartphone zu laden. Das war eine Zeit gewesen, in der junge Mädchen noch Backfisch geheißen hatten. Alte Bücher konnte sie noch lesen und staunend in eine Welt blicken, die so lange

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