Platzhirsch: Ein Alpen-Krimi (German Edition)
Revierjäger. Biathlonwaffen, hatte der Revierjäger doch gesagt …
Ein Ruck ging durch ihren Körper, Adrenalin strömte ein. Wer hatte sie denn eigentlich schon wieder so blind werden lassen? Sie hatten bei ihren Fällen doch häufig in Tirol zu tun, sogar weit öfter als im übrigen Bayern! Tirol war ihr Vorgarten, das Werdenfels war Grenzland, und war man den Tirolern von der Mentalität her nicht ohnehin viel näher als den deutschen Landsleuten irgendwo in der Mitte oder im Norden? Sie mussten ihre Suche auf österreichische Gewehre ausdehnen, ganz klar! Schon früher hatten sich die Wilderer nicht an Grenzen gehalten.
Irmi zog Kathi zur Seite und war mit einem Mal hellwach. Sie bat Kathi auch nicht, die Tiroler Kollegen ins Boot zu holen. Nein, sie schaffte an und ließ keinerlei Zweifel daran, dass Kathi sie selbst, ihre Mama und das Soferl in Lähn absetzen und sich dann um alles Weitere kümmern werde. Auch den Einwand, dass schon Donnerstagnachmittag sei, ließ Irmi nicht gelten. Sie wusste gar nicht, woher sie diese Entschlossenheit auf einmal nahm.
Bei Reindls daheim in Lähn warf das Soferl ihre Sportsachen in den Flur. Dann lief sie zu einer Freundin, denn sie mussten, bevor das Geburtstagsfest begann, noch mit einem Typen chatten, den sie über Facebook kannten. Kathis Mama seufzte. »Manchmal ist sie mir echt zu schnell. Ich werde alt.«
»Na, na, das ja wohl nicht!«, meinte Irmi lächelnd.
»Immerhin bin ich im Januar einundsechzig geworden. Taufrisch bin ich nicht mehr, Frau Mangold. Kaffee?«
Irmi nickte und setzte sich auf die Eckbank in der gemütlichen Wohnküche. Sie wusste, dass zum Kaffee irgendein selbst gebackener Kuchen kommen würde und der Hausgebrannte. Elli Reindl umfing ihre Gäste immer mit so viel Wärme und Behaglichkeit. Oft hatte sie Kathis Mutter noch nicht getroffen, die wenigen Male aber hatte sie sich der Frau immer nahe gefühlt. Während der Kaffee ganz altmodisch durch den Porzellanfilter plätscherte, zauberte Frau Reindl senior aus der Speis wie erwartet eine Linzertorte und den Schnaps.
»A Kloaner geht doch?«
Irmi grinste. »Rein therapeutisch, ja.«
Sie nippte an dem Obstler und glaubte dabei in eine Birne hineinzubeißen, so aromatisch war das hochgeistige Getränk. Das war etwas anderes als der Fabriksprit, der mit bunten Bildchen vorgab, etwas ganz Fruchtiges zu sein, und in Wahrheit in der Nase kratzte und biss.
»Geht’s eigentlich mit der Kathi?«, fragte Elli Reindl plötzlich.
»Kathi ist eben Kathi. Ein bisschen schnell mit ihren Worten. Unbedacht, unsensibel manchmal, und doch hat sie ein Händchen für den Job.«
Elli Reindl seufzte. »Sie ist wie ihr Vater. Ich hoffe, sie wird mal etwas milder. Vielleicht mit zunehmendem Alter?«
Nun musste Irmi laut lachen. »Ich glaub, das ist Wunschdenken, wenn wir bei Kathi auf Altersweisheit hoffen. Sie wird wohl eher eine renitente Alte, die die Jugendlichen mit ihrem Gehstock prügelt.« Irmi unterbrach sich kurz. »Frau Reindl, falls Sie glauben, ich wäre hier, um mit Ihnen über Kathi zu reden, dann stimmt das sogar ein wenig. Mir geht es allerdings um die sehr junge Kathi.« Sie zögerte erneut. »Unser aktueller Fall führt uns unter anderem nach Reutte. Sie stammen aus dem Außerfern, und ich würde einfach gern etwas mehr wissen über die Region. Genauer über einen Frauenarzt. Kennen oder kannten Sie einen Dr. Wallner, der in den Siebzigern in Reutte praktiziert hat?«
Elli Reindl schwieg.
»Frau Reindl, ich nehme doch mal an, Sie kennen Ihren Frauenarzt. Ist oder war das dieser Dr. Wallner?«
»War.«
Was war hier los? Warum machte Frau Reindl dermaßen zu? Irmi war irritiert, und im Prinzip war es ihr auch unangenehm, weiter in die Frau zu dringen, aber genau das war eben ihr Beruf. Penetrant sein, nachfragen, Witterung aufnehmen.
»Frau Reindl, ich merke, dass Ihnen meine Fragen unangenehm sind. Aber ich kenne sonst wenige Frauen aus der Region. In diesem Zusammenhang ist auch der Name Elisabeth Storf gefallen. Sagt Ihnen das was?«
Elli Reindl warf Irmi einen Blick zu, der so traurig war, dass es schmerzte. Kathis Mutter stand auf, ging hinaus und kam wenig später mit ihrem Pass zurück. Den legte sie vor Irmi auf den Tisch. Die war völlig konsterniert, bis sie endlich verstand: Elli Reindl war auf den Namen Elisabeth getauft, Elisabeth Storf.
Am liebsten wäre Irmi aufgestanden, hätte sich für den Kaffee bedankt und wäre ganz still und leise verschwunden. Stattdessen sagte
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