Platzhirsch: Ein Alpen-Krimi (German Edition)
zurückzuliegen schien. Aber altdeutsche Schreibschrift?
»Ich fürchte, nicht«, räumte sie ein. »Suchst du bitte jemanden, der das für uns entziffern kann?«
Kathi kam gegen Mittag ins Büro. »Also, ich hab den ganzen Abend und heute Vormittag wegen der Waffen rumgemacht, die Tiroler Kollegen hatten schöne Schimpfworte für mich parat. Die zitiere ich lieber nicht. Außerdem ist meine Mutter völlig schräg drauf. Was hast du mit der eigentlich angestellt? Doch, Irmi, meine Zeit war richtig klasse, danke!« Sie nieste und suchte mal wieder nach einem Taschentuch.
Irmi sagte nichts dazu. Elli Reindl hatte sie gebeten, Kathi möglichst wenig zu verraten von dem, was sie ihr erzählt hatte. Sie wollte ihrer Tochter das kleine bisschen positive Erinnerung an den Vater nicht auch noch nehmen. »Wir sind ein merkwürdiger Weiberhaushalt«, hatte sie gesagt. »Weder meine Tochter noch meine Enkelin haben Väter. Ich denke oft, dass das meine Schuld ist. Denn Mädchen sollten doch beide Pole des Lebens kennenlernen, oder?« Dabei hatte Elli Reindl sie so angesehen, dass Irmi bis tief in ihre Seele blicken konnte. Das war doch das eigentlich Perfide: Die Opfer entschuldigten die Täter. Die Opfer suchten die Schuld in sich. Bis heute. Es gab nur diese eine Überlebensstrategie: Das Böse tief in sich einschließen. Wegsperren. Wegdenken. Das Wegdenken war das Schwerste, Gedanken und Erinnerungen zuckten immer wieder wie Blitze irgendwo heraus und durchbohrten das Herz. Sich den bösen Erinnerungen zu stellen war nicht immer der beste Weg, manches war so schmerzhaft, dass es in den Tresorraum musste. Aber Gnade, wenn jemand einen Schlüssel fand, diesen Raum zu öffnen! Irmi wusste das nur zu gut.
Kathi nieste wieder. Sie sah erbärmlich aus mit ihren verquollenen Augen. »Die Ballistik meldet sich nachher bei dir, ich geh jetzt mal zum Arzt. Vielleicht gibt es irgendein verdammtes Allergiemittel, das hilft. Der verfickte Wind macht alles noch schlimmer. Scheißfrühlingswetter. Pollen überall.«
»Ja, das ist gut«, sagte Irmi, dabei war gar nichts gut. Sie sah an Kathi vorbei, die niesend von dannen zog.
Er war still im Büro. Zeit, ein bisschen Licht ins Dunkel des Schreibtisches zu bringen, E-Mails zu löschen, die Zeitung zu lesen, die sich mal wieder einem Geniestreich in der Doppelgemeinde widmete. Der unscheinbare und etwas heruntergekommene Partnachuferweg sollte neuerdings eine Promenade werden. Eine Flaniermeile oder Prachtstraße war der Partnachuferweg nun wirklich nicht, und ausgerechnet dieser Weg sollte nun die Namen der beiden Exbürgermeister tragen. Nach einem Beschluss des Bauausschusses der Marktgemeinde wurde ein Teilstück in Neidlinger-Promenade, ein anderes in Schumpp-Promenade, ein drittes in Lahti-Promenade umbenannt. Den Bewohnern des finnischen Lahti würde das wurscht sein, aber zwei Männer, die die Geschicke Garmisch-Partenkirchens gelenkt hatten, hätten auf eine solche Ehrung sicher gerne verzichtet. Im Falle von Neidlinger wurden vierundzwanzig verdienstvolle Jahre mit einem Drittel des vernachlässigten Partnachuferwegs aufgewogen. Da im Gemeinderat viele Sturm gelaufen waren, sollten die beiden Herren zusätzlich noch je ein Taferl an einer Parkbank kriegen. Die Diskussion darüber füllte die Zeitung, ihr Mord im Wald war nebensächlich geworden. Irmi schüttelte den Kopf – man könnte meinen, die Schildbürger seien in Garmisch-Partenkirchen erfunden worden.
Es war Nachmittag, als der Anruf kam. Ein Anruf aus der KTU, der Irmi dazu veranlasste, den Hasen aufzusuchen. Er präsentierte ihr eine Waffe. »Aus der ist geschossen worden. Damit wurde Regina von Braun erschossen.«
Irmi starrte ihn an. »Das ist sicher?«
»Was ich mache, ist immer sicher«, maulte Kollege Hase. »Ich habe Fingerabdrücke genommen, es sind eine ganze Reihe drauf, und mit Verlaub, das sind vor allem Abdrücke von Kindern.«
»Von Kindern?« Irmi schoss die Kindergartengruppe durch den Kopf. Hatte der kühne Bene geschossen? Quatsch!
»Die Waffe stammt vom Sportklub Bichlbach. Ist eine Biathlonwaffe, die von der Biathlontrainingsgruppe der Schülermannschaft verwendet wird. Von anderen auch, aber vor allem von diesen Schülern. Ich muss los, die Arbeit wird ja nie weniger«, sagte der Hase noch und verschwand.
Irmi stellte sich ans Fenster. Die Sonne schien, es ging ein kräftiger Wind, der in die noch kahlen Bäume fuhr. Bald würden sie in diesem frisch lackierten Frühlingsgrün sprießen.
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