Ploetzlich blond
weil sie viel zu sehr damit beschäftigt war, ihr Idol vor mir in Schutz zu nehmen.
»Dabei behauptest du doch die ganze Zeit, Feministin zu sein. Glaubst du etwa allen Ernstes, Nikki wäre das, was sie jetzt ist – das neue Gesicht von Stark Enterprises und eines der bestbezahlten Models ihrer Generation –, wenn sie keine starke und intelligente Frau wäre?«
»Äh …«, sagte ich. Mehr fiel mir nicht ein, weil ich einfach zu geschockt darüber war, dass die Person, über die wir gerade sprachen, direkt auf uns zukam.
»Ich verstehe sowieso nicht, wieso du als angebliche Femi nistin«, empörte sich Frida, die noch immer nichts gemerkt hatte, »so fies über deine eigenen Geschlechtsgenossinnen herziehst. Nikki ist einfach nur ein ganz norma les Mädchen, genau wie du.«
Dabei sah ich im selben Moment mit eigenen Augen, dass Nikki alles andere als ein normales Mädchen war – und weit davon entfernt, genau wie ich zu sein. Erstens war sie ungefähr dreißig Zentimeter größer (dank ihrer Stilettoabsätze, aber auch ohne die war sie mindestens 1,77 m groß) und ungefähr halb so dünn wie ich. Im Ernst. Sie hätte locker zweimal in meine Jeans gepasst.
Außerdem hatte sie glänzende blonde Haare bis zum Po, und obwohl sie – wohlgemerkt: auf Stilettoabsätzen! – quer durch den Laden rannte, lag jedes Strähnchen, wo es liegen sollte. Ihr hautenges Etuikleid war das kürzeste und knappste Kleidungsstück, das ich jemals gesehen hatte. (Okay, mal abgesehen von dem Teil, das Whitney Robertson letztes Jahr anhatte, als wir Klassenfotos gemacht haben.) Interessanterweise bedeckte es dennoch alle intimen Körperteile. Wie schaffte Nikki es nur, dass dieses winzige Stück Stoff über ihren Brüsten hielt, ohne herunterzurutschen? Benutzte sie etwa doppelseitiges Klebeband? Ich hatte natürlich schon von diesem alten Trick gehört, aber bisher noch nie die Gelegenheit gehabt, ihn live angewendet zu erleben.
Ihre Brüste waren zwar nicht bombastisch groß, aber – im Gegensatz zu meinen eigenen – definitiv vorhanden. Dass Nikki daran gedacht hatte, sie mit doppelseitigem Klebeband zu sichern, war im Übrigen auch deshalb sehr vernünftig, weil sie nämlich ein flauschiges Etwas an sich drückte, das ich auf den ersten Blick für einen dieser Cheerleader-Puschel hielt. Bei näherem Hinsehen entpuppte es sich jedoch als win ziges Hündchen, das ängstlich versuchte, seinen Kopf zwischen ihren Brüsten zu vergraben, um sich vor dem grellen Neon licht und dem Lärm aus den Lautsprechern zu schützen. Hätte Nikki ihr Kleid nicht mit Klebeband am Körper befestigt, wäre der Hund ihr garantiert in den Ausschnitt gekrochen.
Frida ließ sich immer noch geifernd darüber aus, dass ich eine Verräterin an der feministischen Idee sei (wozu ich nur sagen kann: »Wer im Glashaus sitzt …«), ohne auch nur die leiseste Ahnung von dem zu haben, was sich hinter ihrem Rücken abspielte. Und das, obwohl alle um uns herum mit offenem Mund das Supermodel und seine Entourage anstarrten, die aus dem Hund, einer Frau, die nach ihrer Agentin aussah (rote Haare, Aktentasche, hektisch in ein Headset redend), einem Friseur (Mann in Seidenhemd und enger Lederhose mit einer Dose Haarspray in der Hand) und der wichtigsten F von N bestand: Lulu Collins höchstpersönlich. Eine gleichermaßen klapperdürre wie hübsche Siebzehnjährige in einem Wickelkleid mit Schlangenledermuster, die wie in Trance auf ihr Handydisplay starrte und den Blick kein einziges Mal davon löste, um darauf zu achten, wo sie hinging.
Ich schwöre, es war genau wie in der Schule, wenn Whitney und Lindsey mit dem Rest der »Lebenden Toten« morgens das Schulgebäude betreten und zu ihren Schließfächern schlendern. Jeder in Nikkis Nähe hörte schlagartig auf zu reden und starrte die Truppe wie hypnotisiert an. Und zwar nicht nur die normalen Kunden um uns herum. Mir war nicht entgangen, dass Nikki auch die Aufmerksamkeit von Gabriel Luna erregt hatte. Er lächelte zwar immer noch die Mädchen an, die sich um ihn geschart hatten und ihm ihre CDs (und Handynummern) hinhielten, aber dabei behielt er Nikki die ganze Zeit im Auge.
Übrigens genau wie …
… Christopher.
In diesem Moment drehte Frida sich endlich um, weil sie sehen wollte, wen ich und Christopher anstarrten (letzterer mit leicht geöffnetem Mund) …
Und dann kriegte sie einen Anfall. »Omeingottomein gottomeingott!«, keuchte sie und wedelte mit ihrer freien Hand (in der anderen hielt sie
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