Ploetzlich blond
etwas über einen Monat.«
»Ein ganzer Monat!« Ich versuchte, mich aufzusetzen, aber natürlich spielten die Überwachungsgeräte neben meinem Bett sofort wieder verrückt – besonders der Herzmonitor, weil ich bei dem Gedanken an den ganzen Schulstoff, den ich verpasst hatte, eine Panikattacke bekam. Außerdem wurde mir schwindelig. Und das lag nicht nur an der Masse an Hausaufgaben, die mich erwartete.
Natürlich musste genau in diesem Moment Frida mit einer Flasche Mineralwasser und einem Glas in den Händen ins Zimmer zurückkehren. Als sie das Gefiepe und Gepiepse hörte, blieb sie wie erstarrt stehen, weil sie wahrscheinlich annahm, ich hätte irgendeinen Anfall.
»Hat sie … ist sie …?« Frida fielen fast die Augen aus dem Kopf.
»Es geht ihr gut«, sagte Mom und drückte mich sanft aufs Bett zurück. »Reg dich nicht auf, Em. Die Schule ist jetzt nicht so wichtig.«
Machte sie Witze? Was konnte wichtiger sein als die Schule?
»Das hole ich nie im Leben auf. Das schaffe ich nicht!«, stöhnte ich. »Das heißt, dass ich die Elfte wiederholen muss.«
»Unsinn«, sagte meine Mutter. »Bitte, Em. Beruhige dich. Doktor, können Sie ihr nicht irgendetwas geben?«
»Oh nein!«, rief ich empört. »Ihr werdet mich nicht wie der einschläfern! Ich brauche meinen Laptop. Jemand muss nach Hause fahren und meinen Laptop holen, damit ich sofort anfangen kann, den Stoff nachzuholen. Gibt es hier im Krankenhaus W-Lan?«
»Na, na, na«, schmunzelte Dr. Holcombe. »Ein Schritt nach dem anderen, junges Fräulein. Frida, gib ihr doch bitte ein Glas Wasser.«
Frida, die mich immer noch anstarrte wie ein Ungeheuer, das aus der Tiefe des Meeres hervorgekrochen war, goss mit zitternden Händen ein Glas Wasser ein.
»H-hier«, sagte sie.
Als ich die Hand nach dem Glas ausstreckte, fielen mir wieder die schicken langen Fingernägel auf, die sie über meine alten, abgekauten geklebt hatte. »Danke.« Und dann fügte ich mit ironischer Stimme noch hinzu: »Ach so, und danke auch für die Maniküre.«
»Ich … ich hab nichts mit deinen Nägeln gemacht«, stammelte Frida mit bebender Stimme.
»Ja klar«, sagte ich und nahm das Glas.
Da ich mich nicht aufsetzen durfte, musste ich im Liegen trinken, was nicht einfach war. Außerdem traf ich meinen Mund beim ersten Versuch nicht, sodass das eiskalte Wasser meinen Hals hinunterlief und auf mein Krankenhausnachthemd tropfte. Das machte mich total aggressiv. »Verdammt, was …?«
»Na, na, na«, sagte Dr. Holcombe wieder und trocknete mich mit seinem Taschentuch so gut es ging ab. »Siehst du, was ich meine? Deswegen sage ich ja, ein Schritt nach dem anderen. Deine Hausaufgaben können warten. Willst du noch einmal versuchen zu trinken?«
Meine Kehle war wirklich völlig ausgetrocknet. Ich nickte. Mom hielt mir das Glas an die Lippen, und das Wasser – das kühlste, köstlichste Wasser, dass ich je getrunken hatte – floss diesmal in meine Kehle und nicht aufs Kissen.
»Na siehst du«, sagte Dr. Holcombe. »Das ging doch schon viel besser. Meinst du, du bist schon so weit, dass du versuchen kannst, feste Nahrung zu dir zu nehmen?« Kaum hatte er das Wort »Nahrung« ausgesprochen, knurrte prompt mein Magen. Ich nickte und Dr. Holcombe sah höchst zufrieden aus.
»Frida«, sagte er zu meiner Schwester. »Geh doch mal in die Cafeteria runter und hol deiner Schwester etwas zu essen. Worauf hast du Lust, Emerson?«
»Ich weiß genau, worauf sie Lust hat«, sagte meine Mutter und zog die Nase ein bisschen kraus, wie immer, wenn sie etwas sagt, das sie für lustig hält. »Sie möchte gern einen riesigen Eisbecher. Hab ich recht, Em?«
»Und dazu will sie sicher ein Chocolate Chip Cookie«, ergänzte mein Vater und sah in diesem Moment ein bisschen normaler aus und nicht mehr so gekünstelt fröhlich.
»Ist es das, was du willst?«, fragte Frida.
Merkwürdigerweise … war es das nicht.
»Klar«, sagte ich trotzdem, weil ich mich nicht erinnern konnte, jemals kein Eis und keinen Chocolate Chip Cookie gewollt zu haben, auch wenn sich das jetzt anscheinend plötzlich geändert hatte.
Komischerweise schien dieses »Klar« genau die richtige Reaktion gewesen zu sein, denn zum ersten Mal, seit ich aufgewacht war und Frida vor mir stehen gesehen hatte, lächelte sie. Zaghaft zwar, aber immerhin, es war ein Lächeln.
»Okay, bin gleich wieder da«, sagte sie und stürmte davon.
Das war für sich allein betrachtet auch schon wieder ziemlich merkwürdig. Ich meine, wann
Weitere Kostenlose Bücher