Plötzlich Fee Bd. 3 Herbstnacht
Ash an, der das Paar ernst musterte. »Wer sind sie?«, flüsterte ich durch meinen Ärmel.
Ash zögerte kurz, dann holte er tief Luft. »Man erzählt sich eine Geschichte«, begann er ernst, »über einen talentierten Saxofonisten, der eines Nachts den Mardi Gras besuchte und dabei einer Feenkönigin auffiel. Die Königin bat ihn, mit ihr zu kommen, denn er war jung, schön und charmant, und seine Musik ließ einem die Seele entflammen. Doch der Saxofonist weigerte sich, denn er hatte bereits eine Frau, und seine Liebe zu ihr war noch größer als die Schönheit der Feenkönigin. Die Königin nahm ihn aus Zorn darüber, dass er sie zurückgewiesen hatte, mit sich ins Nimmernie, hielt ihn dort viele lange Tage gefangen und zwang ihn, sie zu unterhalten. Doch ganz gleich, was der junge Mann im Feenreich auch sah, und ganz gleich, wie sehr die Königin auch versuchte, ihn für sich zu gewinnen – sogar als er seinen eigenen Namen vergaß –, er konnte doch niemals vergessen, dass in der Welt der Sterblichen seine Frau auf ihn wartete.«
Während Ash sprach, beobachtete ich sein Gesicht und sah die Schatten in seinen Augen. Ich wurde das Gefühl nicht los, dass er diese Geschichte nicht einfach nur irgendwo gehört hatte. Er hatte diese Geschichte miterlebt. Er wusste von dem Kleinod und wo man es finden konnte, weil er sich an den Saxofonisten am Hof der Königin erinnerte – ein weiterer Sterblicher, der sich in die grausamen Machenschaften der Feen verstrickt hatte.
»Die Zeit verging«, fuhr Ash fort, »und schließlich ließ die Königin ihn gehen, weil es sie amüsierte, das zu tun. Und als der junge Mann, den Kopf voller Erinnerungen – sowohl echte als auch geträumte –, zu seiner geliebten Frau zurückkehrte, war sie um sechzig Jahre gealtert, während er sich kein bisschen verändert hatte, seit er aus der Welt der Sterblichen verschwunden war. Sie trug noch immer seinen Ring und hatte sich weder einen Ehemann genommen noch einen Verehrer erhört, da sie immer daran geglaubt hatte, dass er zurückkehren würde.«
Ash hielt inne und ich hob meine freie Hand, um mir die Tränen abzuwischen. Die Skelette schienen jetzt nicht mehr so gruselig zu sein, wie sie da reglos auf dem Tisch lagen. Zumindest konnte ich sie jetzt ansehen, ohne dass sich mir der Magen umdrehte.
»Was ist dann passiert?«, flüsterte ich und sah Ash hoffnungsvoll an, mit der unausgesprochenen Bitte, dass dieses Märchen ein Happy End haben möge. Oder zumindest ein Ende ohne Schrecken. Ich hätte es inzwischen besser wissen müssen.
Ash schüttelte seufzend den Kopf. »Nachbarn fanden sie einige Tage später. Sie lagen nebeneinander im Bett, ein junger Mann und eine verschrumpelte alte Frau, die Finger untrennbar verschlungen und die Gesichter einander zugewandt. Das Blut aus ihren Handgelenken war bereits auf dem Bettlaken eingetrocknet.«
Ich schluckte an dem Kloß in meinem Hals und musterte wieder die beiden Skelette, deren Finger im Tod so verbunden waren, wie sie es im Leben gewesen waren. Und ich wünschte mir, dass Märchen – also die Geschichten mit echten Feen, nicht die Disney-Versionen – ausnahmsweise auch mal ein glückliches Ende fänden.
Wie mein Ende wohl sein wird? Der Gedanke kam wie aus dem Nichts und ließ mich besorgt die Stirn runzeln. Über den Tisch hinweg sah ich Ash an. Er erwiderte meinen Blick mit seinen silbrigen Augen und ich spürte, wie mein Herz schneller schlug. Ich befand mich doch in einem Märchen, oder nicht? Ich spielte meine Rolle: das Mädchen, das sich in einen Feenprinzen verliebt hatte. Solche Geschichten gingen selten gut aus. Selbst wenn ich diese Sache mit dem falschen König zu Ende brachte, selbst wenn ich zu meiner Familie zurückkehrte und ein normales Leben führte, wie würde Ash da reinpassen? Ich war ein Mensch. Er war ein Unsterblicher, ein seelenloses Feenwesen. Was für eine gemeinsame Zukunft hatten wir? Ich würde irgendwann alt werden und sterben. Ash würde ewig weiterleben oder zumindest so lange, bis die Welt der Sterblichen zu viel für ihn wurde und er einfach aufhören würde zu existieren.
Ich schloss die Augen. In meinem Herzen brannte die bittere Wahrheit. Er gehörte einfach nicht hierher, in die Welt der Sterblichen. Er gehörte ins Feenreich, zu den anderen Gestalten aus den Sagen, Albträumen und Fantasien. Ash war ein wunderschöner, unerreichbarer Traum – ein Märchen. Und ich war, trotz des Blutes meines Vaters, immer noch ein
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