Plötzlich klopft es an der Tür: Stories (German Edition)
Glas Orangensaft, eine Schale Müsli mit Honig und dazu einen doppelten Espresso ohne beinhaltete, mit fettarmer heißer Milch. Klar wäre es netter für ihn gewesen, wenn ihm jemand am Tisch gegenübergesessen und mit ihm gelacht hätte, wenn jemand mit ihm herumgestritten hätte, wer die Rechnung bezahlen durfte, und er darum hätte kämpfen müssen, den Geldschein der Bedienung hingehalten und gesagt hätte: »Nimm’s bloß nicht von ihm, na, jetzt lass, Avri, diesmal zahl ich.« Aber dazu hatte er niemanden, und ein Frühstück allein war immer noch hundertmal besser, als zu Hause zu bleiben.
Miron sah immer den anderen Tischen zu. Lauschte ein bisschen den Unterhaltungen. Las die Sportbeilage in der Zeitung oder überprüfte aus einem entfernten, nicht ganz klaren Interesse, wie sich die israelischen Aktien gestern in der Wall Street verhalten hatten. Manchmal trat jemand zu ihm und fragte, ob er einen Teil der Zeitung haben könne, den er schon fertig gelesen hatte, und dann nickte er und bemühte sich um ein Lächeln. Einmal, als eine junge sexy Mutter mit einem Baby im Kinderwagen auf ihn zukam, sagte er sogar, während er ihr die erste Seite mit der roten Schlagzeile von einer Gruppenvergewaltigung in der Scharongegend abtrat: »Da sehen Sie, in was für eine irrsinnige Welt wir Kinder setzen.« Er war sich sicher, dass diese Bemerkung etwas Verbindendes hatte, ein Empfinden von Schicksalsgemeinschaft, doch die sexy Mutter starrte ihn nur mit einem konsternierten, halb zornigen Blick an und nahm ihm auch die Gesundheitsmagazinbeilage auf dem Tisch weg, ohne überhaupt darum zu bitten.
Es passierte an einem Donnerstag – ein dicker, schwitzender Mann betrat das Café und lächelte ihn an. Miron war überrascht. Der letzte Mensch, der ihn angelächelt hatte, war Ma’ajan gewesen, direkt bevor sie ihn verließ, und dieses Lächeln, das vor über fünf Monaten stattgefunden hatte, war absolut zynisch gewesen, während das des Dicken weich, beinah entschuldigend war. Der Dicke machte eine Art Bewegung, anscheinend als Frage gemeint, ob er sich setzen könne, und Miron nickte fast ohne nachzudenken. Der Dicke ließ sich nieder und sagte:
»Re’uven? Hören Sie mal, es ist mir echt so was von unangenehm, dass ich zu spät komme. Ich weiß, dass wir um zehn ausgemacht haben, aber ich hatte heute früh ein derartiges Theater mit der Kleinen.« Miron spürte, dass er jetzt irgendwo zu dem Dicken eigentlich sagen sollte, dass er nicht Re’uven war, doch stattdessen ertappte er sich dabei, wie er auf die Uhr spähte und sagte:
»Nicht so schlimm, sind ja bloß zehn Minuten.« Danach schwiegen sie eine Sekunde, und dann fragte Miron, ob mit seiner Tochter alles in Ordnung sei. Und der Dicke sagte, ja, sie gehe jetzt einfach nur in einen neuen Kindergarten, und immer wenn er sie in der Früh hinbringe, sei die Trennung schwer.
»Aber lassen wir das«, unterbrach sich der Dicke, »Sie haben genug um die Ohren auch ohne meine Probleme. Kommen Sie, reden wir übers Geschäft.« Miron nahm einen tiefen Atemzug und wartete ab.
»Schauen Sie«, sagte der Dicke, »fünfhundert ist zu viel. Geben Sie’s mir für vierhundert. Wissen Sie was? Sogar vierhundertzehn, und ich verpflichte mich, sechshundert Stück abzunehmen.«
»Vierhundertachtzig«, erwiderte Miron, »vierhundertachtzig. Und auch das bloß, wenn Sie sich verpflichten, tausend zu nehmen.«
»Sie müssen verstehen«, sagte der Dicke, »der Markt ist jetzt im Keller, mit der Rezession und dem Ganzen. Erst gestern hab ich in den Nachrichten gesehen, wie die Leute aus Mülltonnen essen. Wenn Sie dabei bleiben, dann muss ich teuer verkaufen. Wenn ich teuer verkaufe, wird keiner kaufen.«
»Keine Sorge«, sagte Miron zu ihm, »auf drei, die Müll essen, kommt einer, der im Mercedes fährt.« Das belustigte den Dicken.
»Man hat mir von Ihnen gesagt, dass Sie hart sind«, knurrte er mit einem Lächeln.
»Ich bin letztlich wie Sie«, auch Miron lächelte, »man versucht zu überleben.« Der Dicke wischte sich seine schweißige Hand am Hemd ab, und dann streckte er sie aus:
»Vierhundertsechzig«, sagte er, »vierhundertsechzig, und ich nehme tausend ab.« Und als er sah, dass Miron sich nicht rührte, fügte er hinzu: »Vierhundertsechzig, tausend Stück, und ich schulde Ihnen einen Gefallen. Und wer wüsste nicht besser als Sie, Re’uven, dass in unserem Bereich Gefallen mehr wert sind als Geld.« Der letzte Satz überzeugte Miron davon, in die
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