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Plötzlich klopft es an der Tür: Stories (German Edition)

Plötzlich klopft es an der Tür: Stories (German Edition)

Titel: Plötzlich klopft es an der Tür: Stories (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Etgar Keret
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Bringt Stunden damit zu. Wenn es von ihm abhinge, würde er ein ganzes Leben so verbringen.
    »Chagi«, sage ich zu ihm, »Chagi, wach auf. Wach in deinem Leben auf. Du hast ein erstklassiges Leben. Eine hinreißende Frau. Bezaubernde Kinder. Wach auf.«
    »Lass mich«, antwortet er aus den Tiefen des Bodensitzkissens, »lass gut sein, vermies es mir nicht. Weißt du, mit wem ich jetzt zusammen bin? Mit Jotam Razavi, der mit mir im Regiment als stellvertretender Einsatzleiter gedient hat, mit Jotam Razavi auf einem Jeepausflug. Nur ich, Joti und der Kleine. Avitar Mendelson, das ist ein Junge, so ein Schlingel, der mit Amit im Kindergarten ist. Und Avitar, dieses Früchtchen, sagt zu mir: ›Papa, ich hab Durst, kannst du mir ein Bier geben?‹ Blickst du’s? Der Junge ist noch keine sieben. Und ich sag zu ihm: ›Bier geht nicht, Avi. Das erlaubt Mama nicht.‹ Seine Mutter, das heißt, meine Ex, das ist Lilach Jedidia vom Gymnasium. Schön wie ein Model, sag ich dir. Schön wie ein Model, aber hart. Hart wie Stein.«
    »Chagi«, werfe ich ihm vom Sofa aus zu, »das ist nicht dein Junge und das ist nicht deine Frau. Du bist nicht geschieden, Mensch, du bist glücklich verheiratet. Mach die Augen auf.«
    »Jedes Mal wenn ich komme, um ihr den Jungen zurückzubringen, steht er mir«, macht Chagi weiter, »steht er mir wie ein Fahnenmast. Sie ist schön, meine Exfrau, schön, aber hart. Und diese Härte, haargenau die, lässt ihn mir stehen.«
    »Sie ist nicht deine Exfrau«, sage ich zu ihm, »und in Wirklichkeit steht er dir nicht.« Ich weiß, wovon ich rede, er befindet sich einen Meter neben mir, in Unterhose. Da steht sich gar nichts.
    »Wir mussten uns trennen«, sagt er, »mir ist es nicht gutgegangen mit ihr. Und ihr? Ihr ging’s auch nicht gut mit ihr.«
    »Chagi«, flehe ich, »deine Frau heißt Karni. Und ist hübsch, ja, aber nicht hart. Nicht zu dir.« Seine Frau ist wirklich weich. Die Seele eines Vögelchens und ein großes Herz, hat Erbarmen für alle. Schon seit neun Monaten sind wir zusammen. Chagi fängt früh zu arbeiten an, also komme ich um halb neun zu ihr, direkt nachdem sie die Kinder im Kindergarten abgeladen hat.
    »Lilach und ich haben uns im Gymnasium kennengelernt«, fährt er fort, »sie war die Erste für mich und ich der Erste für sie. Nachdem wir geschieden waren, hab ich viel rumgevögelt, aber keine ist an sie rangekommen. Und sie, wenigstens von weitem, schaut immer noch allein aus. Wenn ich plötzlich entdecken würde, dass sie jemanden hat, das würde mich fertigmachen, sogar wenn wir geschieden sind und das Ganze. Es täte mich in Stücke reißen. Ich würde es schlicht nicht ertragen. Alle anderen sind bloß so. Außer ihr. Nur sie war da immer.«
    »Chagi«, zische ich, »sie heißt Karni, und niemand ist mit ihr zusammen. Ihr seid immer noch verheiratet.«
    »Auch mit Lilach ist niemand zusammen«, sagt er und leckt sich seine trockenen Lippen, »auch mit Lilach. Ich würd mich umbringen, wenn’s nicht so wär.«
    Karni betritt jetzt die Wohnung. Sie hat eine Tüte von AM-PM in der Hand und wirft mir so ein knappes Schalom zu. Seitdem wir zusammen sind, bemüht sie sich, distanzierter zu sein, wenn wir in Gesellschaft sind. Chagi begrüßt sie überhaupt nicht, sie weiß, dass sie ihn gar nicht anreden braucht, wenn er die Augen geschlossen hat. »Mein Haus«, sagt er, »ist direkt im Zentrum von Tel Aviv. Schön, mit einem Maulbeerbaum vorm Fenster. Aber klein. Einfach zu klein. Mir fehlt noch ein Zimmer. Am Wochenende, wenn die Kinder bei mir sind, muss ich das Sofa im Wohnzimmer für sie ausziehen. Das ist kein Zustand. Wenn ich bis zum Sommer keine Lösung finde, werde ich weggehen müssen.«

Gesundheitsfrühstück
    Seit sie weg war, schlief er in der Nacht ständig woanders: auf dem Sofa, auf dem Sessel im Wohnzimmer, auf der Matte am Balkon wie irgend so ein obdachloser Penner. In der Früh legte er immer großen Wert darauf, außer Haus zu frühstücken – auch Häftlingen steht es zu, einmal am Tag eine kleine Runde im Gefängnishof zu drehen. In dem Café erhielt er jedes Mal einen Zweiertisch mit einem leeren Stuhl ihm gegenüber. Immer. Sogar wenn ihn die Bedienung gleich vorher schon gefragt hatte, ob er allein sei. Andere Leute saßen dort immer paarweise oder zu dritt, lachten, aßen sich gegenseitig etwas von den Tellern weg, stritten sich darum, wer die Rechnung zahlte, aber Miron saß stets allein da und aß sein »Gesundheitsfrühstück«, das ein

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