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Plötzlich klopft es an der Tür: Stories (German Edition)

Plötzlich klopft es an der Tür: Stories (German Edition)

Titel: Plötzlich klopft es an der Tür: Stories (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Etgar Keret
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fliegen, um den größten Spielzeughersteller auf Erden zu treffen, und wenn wir sagen, »der größte auf Erden«, handelt es sich hier nicht um ein weiteres abgedroschenes Klischee, sondern um eine wirtschaftliche Tatsache, die sich auf eine Fülle von Bilanzen und Verkaufsdaten stützt, und dieser Hersteller würde, falls Gerschon seine Karten klug ausspielte, möglicherweise »Halt, Polizei« von ihm kaufen, das Brettspiel, das Gerschon entwickelt hatte, und es zum Monopoli des einundzwanzigsten Jahrhunderts machen, mindestens, und es stimmt ja, dass das alles nicht direkt ein rot-weiß gestrichener Randstein oder ein Stück Hundescheiße war, die man mit einer zerknitterten Wirtschaftsteilseite aufhebt, aber trotzdem, eine Erfolgschance dieser Größenordnung ist von der Sorte Dinge, bei denen es nett wäre, deine Frau mit ein bisschen mehr Begeisterung darauf reagieren zu sehen.
    »… Und dann taucht mein Vater plötzlich mit einem Kinderwagen vor mir auf und sagt zu mir, pass auf sie auf. Einfach so. Lässt den Wagen neben mir stehen und geht weg, als sei das das Natürlichste auf der Welt«, fuhr seine Frau fort, während sich Gerschon erfolglos abmühte, den Reißverschluss des Koffers zuzukriegen, »und das Baby in dem Wagen sah dermaßen traurig und einsam aus, wie so eine alte Frau, dass ich es einfach hochheben und in die Arme nehmen wollte. Und das Ganze war dermaßen echt, dass ich, als ich aufgewacht bin, eine Weile gebraucht habe, um zu verstehen, wie ich von dort mitten auf der Straße in unser Schlafzimmer gelangt bin. Kennst du das?«

Unruhe
    Der Albino, der auf dem Platz neben ihm saß, versuchte ein Gespräch mit ihm anzufangen. Gerschon antwortete höflich, aber nicht einladend. Er war schon oft genug geflogen, um die Dynamik zu kennen. Es gibt Leute, die sind einfach offen und angenehm, und es gibt andere, die sind bemüht, ein bisschen Intimität mit dir herzustellen, nur damit du dich, wenn sie sich nach dem Start der gemeinsamen Armstütze bemächtigen, gehemmt genug fühlst, dass du es ihnen durchgehen lässt. »Das ist das erste Mal für mich in Amerika«, sagte der Albino. »Ich hab gehört, dass die Polizisten dort total irre sind, es reicht, dass du bei Rot über die Straße gehst, und schon werfen sie dich ins Gefängnis.«
    »Wird schon gutgehen«, erwiderte Gerschon lakonisch und schloss die Augen. Er malte sich im Geiste aus, wie er das Büro des Direktors von Global Toys betrat, mit warmem Nachdruck die Hand des silberhaarigen Mannes vor sich ergriff und zu ihm sagte: »Haben Sie Enkel, Herr Lipsker? Ich werde Ihnen jetzt mal sagen, womit sie diesen Sommer spielen werden.« Sein linkes Bein schlug andauernd an die Seitenwand des Flugzeugs. Er musste sich unbedingt daran erinnern, bei dem Termin die Beine nicht vibrieren zu lassen, vermerkte er bei sich, das strahlte Unsicherheit aus.
    Das Essen, das im Flugzeug serviert wurde, rührte er nicht an. Der Albino verschlang das Huhn und den Salat, als sei es ein Gourmetmenü. Gerschon beäugte noch einmal sein Tablett. Nichts dort wirkte, als ob es schmecken würde. Der eingeschweißte Schokoladenkuchen erinnerte ihn an die Hundescheiße aus dem Traum seiner Frau. Der Apfel allerdings sah einigermaßen ordentlich aus. Er wickelte ihn in die Serviette und legte ihn in seine völlig leere James-Bond-Aktentasche. Ich hätte ein paar Broschüren einstecken sollen, dachte er bei sich, denn was ist, wenn der Koffer nicht ankommt?

Wir sind alle nur Menschen
    Der Koffer kam nicht an. Alle Fluggäste waren schon weg, auch der Albino. Das leere Förderband drehte noch ein paar Minuten weiter seine Runden, ermattete dann und stoppte. Die Bodenstewardess der Continental-Gesellschaft sagte, sie bedauere zutiefst, und notierte die Angaben seines Hotels. »Das kommt extrem selten vor«, meinte sie, »aber Fehler passieren. Wissen Sie, wir sind alle nur Menschen.« Möglicherweise. Obwohl es Augenblicke gab, in denen Gerschon das Gefühl hatte, er sei keiner. Zum Beispiel, als ihm Eran im Laniado-Krankenhaus in Natania unter den Händen wegstarb. Wäre Gerschon ein Mensch gewesen, hätte er sicher geweint oder wäre zusammengebrochen. Nahestehende Menschen erklärten ihm, dass er es einfach noch nicht verdaut habe, dass das Zeit brauche; dass erst in dem Moment, in dem er es wirklich verdaut hätte, und zwar im Herzen, nicht mit dem Verstand, der Schlag käme. Doch zehn Jahre waren seitdem schon vergangen, und es war kein Schlag eingetroffen.

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