Plötzlich klopft es an der Tür: Stories (German Edition)
Überhaupt keiner. In der Armee, als er nicht zur Offizierslaufbahn zugelassen worden war, hatte er geweint wie ein kleines Mädchen. Er erinnerte sich, wie ihn der Kompanieoberfeldwebel fassungslos angeschaut hatte, einfach nicht wusste, was er tun sollte, doch als sein bester Freund starb – nichts.
»Wir werden Sie selbstverständlich mit hundertzwanzig Dollar entschädigen, gegen Vorlage von Kassenbons für Kleidung und persönliche Bedürfnisse«, sagte die Bodenstewardess.
»Persönliche Bedürfnisse«, wiederholte Gerschon ihre Worte.
Sie verstand die Wiederholung als Frage.
»Wissen Sie, Zahnbürste, Rasierschaum. Das ist alles auf der Rückseite des Formulars im Einzelnen aufgeführt.« Sie zeigte auf die zutreffende Stelle auf dem Blatt und fügte hinzu: »Es tut mir wirklich, aber auch wirklich sehr, sehr leid.«
Eine satte Portion
In der Lobby der Spielzeugfirma Global Toys stand ein junger Mann in einem billigen Anzug. Über seinem offenen Mund prangte auf etwas unnatürliche Weise ein dünner Schnurrbart, als schämte sich die Oberlippe wegen irgendwas und habe beschlossen, sich ein Toupet zuzulegen. Gerschon wollte ihn fragen, wo der Aufzug war, doch nach einer Sekunde entdeckte er ihn von allein. Er wusste, dass die Tatsache, dass er ohne die Broschüren zu dem Termin kam, von Herrn Lipsker als unprofessionell ausgelegt werden würde. Er hätte von vornherein daran denken sollen, wenigstens die Präsentation im Handgepäck mitzunehmen. Was er sicher auch getan hätte, wenn dieser lästige Traum seiner Frau nicht gewesen wäre, der im Raum seines Schädels widerhallte, während er gepackt hatte. »Ausweis«, sagte der Schnurrbärtige und Gerschon erwiderte überrascht:
»Bitte?«
»Ausweis«, wiederholte der Schnurrbärtige und warf dem glatzköpfigen Schwarzen in dem grauen Jackett, der neben ihm stand, zu: »Checkst du das, was für Typen hier daherkommen?«
Gerschon durchstöberte langsam seine Taschen. In Israel war er daran gewöhnt, die ganze Zeit Papiere vorzuzeigen, aber im Ausland war es das erste Mal, dass jemand dergleichen von ihm verlangte, und irgendwie klang es in der derben New Yorker Aussprache, die der Schnurrbärtige gebrauchte, als ob er ihm in der nächsten Sekunde Handschellen anlegen und ihm seine Rechte vorlesen würde. »Man lässt sich Zeit, hä?«, sagte der Schnurrbärtige zu dem Schwarzen im Jackett.
»Warum nicht?«, lächelte der Jackettträger sanft mit gelblichen Zähnen. »Wir sind doch sowieso da.«
»Was soll ich dir sagen, Patrick«, sagte der Schnurrbärtige und spähte in den Pass, den ihm Gerschon reichte, »deine Mama hat dich nicht umsonst Patrick getauft. Du bist einfach ein Heiliger.« Er gab Gerschon den Pass zurück und murmelte etwas. Gerschon nickte kurz und strebte in Richtung Aufzug.
»He, Moment«, pfiff ihn der Schnurrbärtige an, »wo rennen Sie hin? Hierher, Blödmann. Verstehen Sie kein Englisch?«
»Ich verstehe durchaus Englisch«, antwortete Gerschon ungeduldig, »und falls es Ihnen nichts ausmacht, ich komme zu spät zu dem Termin.«
»Ich hab Ihnen gesagt, Sie sollen die Tasche aufmachen, Herr Ich-verstehe-durchaus-Englisch«, äffte der Schnurrbärtige Gerschons israelischen Akzent nach, »wären Sie gefälligst bereit, das für mich zu tun?« Und dem Jackettträger, der amüsiert neben ihm stand und sich bemühte, nicht zu grinsen, zischte er zu: »Ich sag’s dir, das ist einfach ein Affenstall hier.« Gerschon dachte an den halbgegessenen Apfel in seiner leeren Aktentasche. Er versuchte sich die klugscheißerische Reaktion des Schnurrbärtigen auszumalen, wenn er den Apfel sah, und wie der Schwarze im Jackett neben ihm versuchen würde sich zu beherrschen, aber schließlich vor Lachen platzen würde. »Na los, machen Sie schon auf«, fuhr der Schnurrbärtige fort, »wissen Sie, was ›aufmachen‹ ist, mein Herr?« Und gleich im Anschluss buchstabierte er schnell das Wort.
»Ich weiß, was ›aufmachen‹ ist«, antwortete Gerschon und umarmte gewaltsam seine James-Bond-Tasche, »ich weiß auch, was ›schließen‹ und ›Nominalgewinn‹ und ein ›Oxymoron‹ ist. Ich weiß sogar, was das zweite Gesetz der Thermodynamik und was das Wittgensteinsche Traktat ist. Ich weiß eine Menge Dinge, die Sie nie wissen werden, Sie aufgeblasene Null. Und eines dieser wunderbaren Geheimnisse, das in Ihrer mageren Hirnrinde zu beherbergen Ihnen niemals vergönnt sein wird, ist, was ich in dieser Tasche habe. Wissen Sie überhaupt, wer
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