Plötzlich klopft es an der Tür: Stories (German Edition)
aus null Distanz in Adams Kopf feuerte. Gut, Michelle war noch nie unbedingt eine, die verzieh. Ich war damals als Gastdozent an irgendeiner kleinen Universität im Mittleren Westen eingeladen. Nicki war die Sekretärin der Abteilung. Ihre Geschichte hörte ich zum ersten Mal von einem anderen Dozenten im Fachbereich, auch ein Gast, aus Slowenien, und danach von ihr. Das war, noch bevor wir zusammen schliefen.
Sie sagte, dass sie Florida verlassen hatte, um von dem Ganzen wegzukommen, doch es habe nichts geholfen, denn auch hier wüssten alle Bescheid und redeten hinter ihrem Rücken darüber. Sie erzählte, das sie sich auf äußerst merkwürdige Weise, »pervers«, wie ihre Schwester Michelle das sicher genannt hätte, schrecklich nach diesem ganzen Zwillingsding sehnte. Danach, dass die Leute sie und Michelle auf der Straße verwechselten. »Irgendwie«, so erinnere ich mich, dass sie mir damals erzählte, ganz kurz bevor wir uns küssten, »fühlst du dich mehr, wenn du eine eineiige Zwillingsschwester hast. Als ob du mehr als ein Mensch bist und außer deinem Leben noch ein Leben hättest. Allein schon dass jemand zu dir sagt, ›Ich hab dich vor einer Stunde gesehen, wie du Vanilleeis gegessen hast‹, oder ›Ich hab dich mit einem rosa Kleid an der Bushaltestelle gesehen‹, da kannst du zwar, wenn du willst, erklären, dass das deine Schwester war, aber irgendwo hast du das Gefühl, dass das ein bisschen du bist, die das Eis gegessen und das rosa Kleid angehabt hat, und das ist so ein merkwürdiges Gefühl, als ob du mehr als ein Leben lebst und in diesem erweiterten Leben noch alle möglichen geheimnisvollen Dinge tust, die du nie erfahren wirst.« Nicht nur danach sehnte sie sich. Auch nach ihrem Mann und hauptsächlich nach Adam. Ein Mensch, der genau, aber auch echt haargenau wie ihr Mann aussah, der jetzt im Gefängnis saß, und den sie ohne jeden Grund viel mehr geliebt hatte.
In jener Nacht erzählte ich ihr auch von meinem Leben. Und von meinen Seitensprüngen. Nicht mit einer Zwillingsschwester meiner Frau, bloß mit einer aus der Arbeit. Sie war jünger als meine Frau und weitaus weniger attraktiv, aber auch ich hatte damals genau dieses Gefühl wie Nicki, dass ich für mich selber noch ein Leben dazugewann. Nicht unbedingt ein erfolgreicheres oder vielversprechenderes als das, das ich schon hatte. Aber weil ich dachte, dass dieses Leben zusätzlich und nicht stattdessen daherkam, verschlang ich es, ohne eine Sekunde zu zögern. In meinem Fall erschoss niemand irgendjemanden, und meine Frau, obwohl sie etwas argwöhnte, erwischte uns nicht einmal. Ich und sie blieben zusammen. Nur dass ich, wie bei all diesen Dingen im Leben, von denen du glaubst, sie seien umsonst, auch für diese Affäre in der Arbeit ein bisschen bezahlen musste. Als man mir diesen Job für ein Jahr im Ausland anbot, zog sie es vor, in Israel zu bleiben. Die offizielle Begründung waren die Kinder, dass ihnen dieser Umzug für ein Jahr schwerfallen würde, aber die Wahrheit ist, dass es ihr einfach passte, ein bisschen fern von mir zu sein.
Als ich Nicki kennenlernte, war das schon lange, nachdem ich mir selbst versprochen hatte, nie mehr fremdzugehen. Und trotzdem tat ich es. Und es ist nicht so, dass es eine große Liebe gewesen wäre. Es war bloß noch ein Versuch von uns beiden, ein bisschen mehr Leben zu gewinnen.
Paralleluniversen
Es gibt eine wissenschaftliche Theorie, die postuliert, es gäbe noch Milliarden anderer Universen parallel zu dem, in dem wir leben, und jedes sei ein bisschen anders. Es gibt solche, in denen du nie geboren worden bist, und andere, in denen du nicht geboren sein wolltest. Es gibt Paralleluniversen, in denen ich gerade Geschlechtsverkehr mit einem Pferd betreibe, es gibt welche, in denen habe ich den großen Preis im Lotto gewonnen. Solche, in denen ich langsam verblutend auf dem Schlafzimmerboden liege, und welche, in denen ich mit Stimmenmajorität in das Amt des Staatspräsidenten gewählt worden bin. Aber diese Paralleluniversen interessieren mich jetzt allesamt nicht. Es interessieren mich nur die, in denen sie nicht glücklich verheiratet ist, mit einem niedlichen kleinen Kind. In denen sie völlig allein ist. Es gibt eine Menge solcher Universen, da bin ich mir sicher. An die versuche ich jetzt zu denken. Unter diesen ganzen Universen gibt es welche, in denen wir uns nie begegnet sind. Auch die interessieren mich momentan nicht. Unter denen, die übrig bleiben, sind solche, in denen
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