Plötzlich Royal
markierte die ersten zweihundert und schickte sie Simon. Sie einfach zu löschen, traute ich mich nicht. Also begann ich, meine Hälfte der Datenflut zu scannen und Simon mir gegenüber seine zweihundert.
Das Meiste war nicht ernst zu nehmen, beispielsweise Mails mit der Anrede „Hallo King!“, von denen die Leute wohl nicht wirklich erwarteten, dass sie überhaupt ankamen. Ein paar Mails enthielten teilweise lange Missionierungen. Wie konnte jemand annehmen, der König würde das lesen? Dann waren da auch Nachrichten, die schon im Titel erahnen ließen, was im Text folgen würde. „Fick dich, Perverser“, war da beispielsweise zu lesen. Erst wollte ich sie löschen, doch dann verschob ich sie in einen eigens dafür eingerichteten Flame-Ordner. Der Erzbischof würde mir bestimmt wütende Mails der Community zeigen, um sich als Opfer darzustellen, dann hätte ich wenigstens auch ein paar Muster seiner Anhänger auf Lager. Besonders die beiden, die mit „Die Hölle wartet“ und „Lass dir Satan austreiben“ überschrieben waren, würden da gute Beispiele abgeben.
„Unglaublich, was die Leute für Müll schicken, immerhin bist du König“, meinte Simon. Seine zweihundert Mails waren anscheinend auch nicht besser.
Dann fand ich auch nicht wenig allgemeinen Spam, wie jenen von dem angeblichen Sohn des persischen Kaisers, der fünf Millionen teilen wollte, wenn man ihm die Reisekosten zu seinem Nummernkonto in der Schweiz bezahlte, und ähnlicher Blödsinn. Ich würde wohl bald mit Bruno über einen besseren Spam-Filter sprechen müssen. Nachdem ich diesen Mist gelöscht hatte, reduzierte sich das Ganze schnell auf etwa zwanzig Nachrichten, die normal aussahen. Jimmy und Charlie aus Brighton schrieben, sie seien schon dreißig Jahre zusammen und ungeheuer glücklich über das Königspaar. Ich tippte sofort eine Antwortmail. An der Hochschule hatten Simon und ich in den letzten beiden Jahren auch gelegentlich solche Glückwünsche bekommen, denn dort waren wir besonders in den letzten zwei Jahren das schwule Paar schlechthin, im Grunde das einzige offen lebende. Es gab noch drei weitere nette Grüße von schwulen Paaren, die Antwort ging per Copy and Paste raus.
Mein Blick blieb an der zweitletzten verbliebenen Mail hängen: „Gebt mir meinen Sohn zurück!“ Mein Puls wurde schneller. Der Brief begann so, wie es auf den Royal Pages von Sir Wilfried und dem beinahe verstorbenen Sir Geoffrey zu lesen war. Ob es die Etikette verlangte, dass ich mich nach seinem Befinden erkundigte? Erst las ich den Brief weiter:
To His Majesty King Alexander IV.,
Buckingham Palace, London SW1A 1AA
May it please Your Majesty
Wie ich aus den Medien erfahren habe, erhält seit gestern mein Sohn Timm bei Euch, Sire, Obdach. Dafür möchte ich mich ausdrücklich bei Eurer Majestät bedanken.
Unser Pfarrer meint, dass es heutzutage zuverlässige Methoden gäbe, die sexuelle Orientierung zu korrigieren …
Schon nach den ersten paar Sätzen gelangte ich zu der Überzeugung, dass die Frau das niemals selbst geschrieben haben konnte, sondern es der Pfarrer wohl für sie aufgesetzt hatte. Den Rest überflog ich. Mrs Kent konnte ja nicht wissen, was ihr der Pfarrer für einen Blödsinn über die Homo-Heilung erzählt hatte.
Die Floskel am Schluss „I have the honour to remain, Sire, Your Majesty’s most humble and obedient servant“ war an Ironie nicht zu überbieten, nachdem mich der Pfarrer der besorgten Mutter gerade zum armen, verirrten Geisteskranken erklärt hatte.
Adresse und Telefonnummer waren im Brief notiert. Schon hatte ich den Hörer in der Hand. Es war 18.50 Uhr und die Frau wohnte etwa eine Stunde entfernt. Immerhin würde es stadteinwärts gegen den Strom der Pendler schneller gehen.
„Zu Diensten, Majestät“, meldete sich der Butler. Man wurde scheinbar ja automatisch weitergeleitet, wenn man keine Nummer eintippte.
„Ich möchte Mrs Kent, das ist die Mutter von Timm, und das rothaarige Findelkind selbst zum Abendessen einladen, vielleicht können wir eine Familie wieder zusammenführen. Schicken Sie ein Taxi zu der Adresse, die ich Ihnen gleich gebe, und informieren Sie die Frau telefonisch. Betonen Sie, dass einfache, saubere Kleidung genüge.“
„Ich verstehe, Majestät. Ich rate zu behutsamem Vorgehen.“
„Apropos behutsames Vorgehen: Ich habe Sir Geoffrey ganz vergessen“, fiel mir ein. „Seine Frau ist ja bereits tot. Aber teilen Sie bitte Mr Grant mit, er soll morgen ein Genesungsschreiben
Weitere Kostenlose Bücher